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gute freunde - boese freunde

gute freunde - boese freunde

Titel: gute freunde - boese freunde
Autoren: Elke Reichart
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    elena margulis

    |9| Posten, Chatten, Taggen und Liken – allein unter Freunden

    So viele kluge Bücher gibt es schon über die heutige, zu kapitalistische, wertelose, nach Geld süchtige, verzweifelte, sich nach Liebe sehnende, oberflächliche wie ehrgeizige, dabei faule, aber immer nach eigenen Vorteilen strebende Gesellschaft. Wie konnte es so weit kommen, dass wir zugleich risikoscheu und risikofreudig sind, aufmerksamkeitsgeil, belesen, aber dumm, schön und gleichzeitig hässlich?

    Uuuuh … ich weiß es, ich weiß es!

    Wir sind multiple Persönlichkeiten. Was früher als Krankheit galt, ist heute Lifestyle. Ich versuch es mal, anhand einer kleinen Geschichte zu erklären:
    Jana Müller ist ein reizendes, schüchternes Mädchen, ist bei Büropartys nie dabei und fällt auch sonst nie sonderlich auf.
    Kerstin Mauer, eine ihrer Arbeitskolleginnen, klickt eines Tages ihr Facebook-Profil. Die beiden befreunden sich, und siehe da: Jana Müller hat 681 Freunde, 200 getaggte Fotos, 50 hochgeladene witzige Youtube Videos und Statusnachrichten wie: »Hat gerade den besten Porno ihres Lebens gesehen!« (34 Kommentare), »Mein Chef ist ein Schwein, aber ich stehe auf Schweine!« (26 Kommentare).
    Kerstin Mauer wundert sich, denn schließlich arbeitet sie schon seit fünf Jahren mit Jana zusammen, und so was hat sie von Jana bestimmt nicht erwartet.
    |10| Und am nächsten Tag im Büro sieht Kerstin Jana mit ganz anderen Augen. Sie fragt sich: Wer ist diese Jana Müller?
    Landesgrenzen, Verhaltensgrenzen, Konsumgrenzen, Altersgrenzen kennen wir alle. Aber nun ist eine neue Grenze entstanden: die Grenze zwischen der Welt, in der wir aufwachen, arbeiten und feiern gehen, und der Welt, die Social Network (SN) genannt wird.

    The World of Social Network, wie der Name schon sagt, verbindet und »connected«. Und das ist ja gut, denn alles verbindet sich: EU, der Binnenmarkt, Bologna Protokoll, WTO, unzählige Konzernfusionen und der ganze Kram. Anscheinend ist es das Ziel des 21. Jahrhunderts, sich zu vereinen. Anscheinend können weder die Wirtschaft noch Staaten oder Institutionen für sich und mit sich sein.
    Wie soll es dann der Einzelne aushalten können? Fragen wir uns doch mal, ob die unzähligen Profile, die wir auf Social Network Seiten wie Facebook, MySpace, Lokalisten oder Twitter erstellen, wirklich wir sind? Wir »posten« unser ganzes Leben der Öffentlichkeit und bangen um jeden »Comment«, der zu unserem Leben abgegeben wird. Wir »taggen« uns in unseren Bildern, um den Schein zu wahren, wir seien auch im wirklichen Leben aktiv und haben wirklich viele Freunde, mit denen wir wirklich viel unternehmen. Wir »liken« alles Mögliche, von Statusnachrichten, Bildern, Beziehungsstatus bis Aufenthaltsorte, nur um zu zeigen, ich finde dich ein bisschen toll und dein Leben auch. Wir »chatten« mit Leuten, die wir ein einziges Mal im Leben gesehen |11| haben, wenn überhaupt, gratulieren ihnen zum Geburtstag auf der »Wall«, sagen aber, wenn wir ihnen über den Weg laufen, nicht einmal Hallo.

    Wow … Ist das nicht ein bisschen bizarr? Sind wir wirklich so geil nach Aufmerksamkeit oder verzweifelt oder unbeschäftigt und gelangweilt?

    Jana Müller würde sich im wirklichen Leben niemals trauen, den Kollegen zu sagen, dass sie auf ihren Chef steht. Im wirklichen Leben zieht sich Jana Müller zurück. Im wirklichen Leben riskiert sie lieber zu wenig als zu viel. Doch die SNs machen sie mutig und stark, und sie wird auf einmal zu einer risikofreudigen, geilen Sau.
    Ja, Jana Müller ist eine wirklich Süße. Doch, ups, siehe da – einige getaggte Fotos von ihr sagen was ganz anderes: besoffen auf einer Party. Auf der Couch neben einem sich geil fühlenden Typen mit Zigarette und Doppelkinn im Spongebob Schlafanzug. Abrakadabra – und Jana Müller ist doch nicht so süß wie gedacht.

    Wir können natürlich stolz sein, dass wir, die User, Leute wie Mark Zuckerberg (Facebook), Ehssan Dariani (StudiVZ) und andere Schöpfer von SNs in Rekordzeit zu Millionären gemacht haben. Aber wir sollten es mit unserem selbstlosen Handeln nicht zu weit treiben, einmal sollte der Zeitpunkt kommen, an dem wir den Finger vom Touchpad nehmen, das Notebook zuklappen und überlegen, wie weit die neue digitale Welt von unserer analogen Besitz ergreifen darf. Denn einiges an dieser neuen Welt finde ich schrecklich!

    SNs sind geniale Erfindungen. Psychotherapeuten werden wahrscheinlich bald von SNs ersetzt werden, denn sie
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