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gute freunde - boese freunde

gute freunde - boese freunde

Titel: gute freunde - boese freunde
Autoren: Elke Reichart
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wir mittendrin und müssen uns schneller anpassen, als uns recht sein kann. Wir sind einerseits erschreckt, wie sehr diese neue Welt unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst, und andererseits dankbar. Dankbar für die Möglichkeit der globalen Kommunikation und für die Flatrate.
    Wir begreifen langsam, was und wie wichtig Privatsphäre ist. Jetzt müssen wir nur noch lernen, sie richtig zu schützen.

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    johannes boie

    |19| Gute neue Freunde – ein Plädoyer

    »Wer jedermanns Freund sein will, ist der meine nicht.« – Molière, Der Menschenfeind.

    Und, wie viele Freunde haben Sie so? Also, während ich dies schreibe, habe ich 316 Freunde. Neulich waren es noch 300, aber ich habe innerhalb einer Woche 16 neue Freunde gewonnen. Wenn das so weitergeht, habe ich allen Grund zur Beunruhigung. Denn in ungefähr fünf Jahren werde ich, wenn das bei diesem Tempo bleibt, keine neuen Freunde mehr bekommen können. Dann ist das Maß voll, ich werde 5.000 Freunde haben. Und dann ist Schluss, und zwar endgültig. Sagt wer?

    Sagen die Programmierer von Facebook, dem beliebtesten sozialen Netzwerk im Internet, einer Webseite, auf der nach Angaben des Unternehmens über 700 Millionen Menschen sich selber auf einer Profilseite präsentieren und mit anderen Menschen interagieren. Diese Menschen heißen »Freunde«, und jedes Facebook-Mitglied kann bis zu 5.000 davon haben. Das klingt seltsam, sehr sogar. Einerseits, weil man nicht weiß, was die dümmere Vorstellung ist: Dass ein Mensch 5.000 (oder auch nur 300) andere Personen als »Freunde« bezeichnen können sollte. Oder dass Software eine Beschränkung auferlegt, wann es genug ist, mit den Freunden.
    Vor allem die zuerst genannte Tatsache hat vermutlich zahlreiche Feuilletonisten dazu bewegt, ihren Sekretärinnen bei einer |20| gemütlichen Pfeife eine kurze Abhandlung (200 Seiten) zur Entwertung des Begriffes »Freund« in die Schreibmaschine zu diktieren, jedenfalls konnte man in den vergangenen Monaten ähnliches immer wieder lesen.

    Das ist natürlich Blödsinn.

    Der exzessive Übergebrauch eines Wortes entwertet das Wort nicht, er verändert es höchstens. Auch dies scheint, soweit man dazu bislang urteilen kann, nicht zu geschehen. Ganz im Gegenteil: Viele Facebooknutzer sprechen, in den USA wie in Deutschland, von »Facebook-Friends« beziehungsweise von »Facebook-Freunden«. Sie machen den Unterschied zwischen realer Freundschaft und virtueller Verbundenheit deutlich. Und sie wünschen ihn sich. Kaum ein Facebook-Nutzer wird tatsächlich glauben, 1.000 Freunde zu haben. Die Kritiker haben die Masse (mal wieder) unterschätzt. Digitale Beziehungen sind eine Bereicherung zu bestehenden Freundschaften. Und sicher werden bestehende Freundschaften durch die digitalen Möglichkeiten verändert. Was sicher nicht stattfindet, ist dagegen ein grundsätzlicher Verlust an Tiefe und Bedeutung in und von Freundschaften.

    Dennoch stellt sich abseits der Debatte um Begrifflichkeiten die Frage, wie das Internet unsere sozialen Bindungen verändert hat. Nicht umsonst spricht man in Bezug auf die interaktiven Netzwerkstrukturen, |21| die sich mit Seiten wie Facebook in den letzten Jahren im virtuellen Raum etabliert haben, auch vom »Sozialen Netz«.

    Die vielleicht offensichtlichste Veränderung ist, dass Kontakte, die eigentlich per se endlich sind, viel länger halten als früher. Urlaubsbekanntschaften etwa, oder Freunde, die Jugendliche beim Schulaustausch kennenlernen. Dabei spielt die zwanglose Atmosphäre auf den Netzwerkseiten eine grundlegende Rolle. Aktive Zuwendung zu einer bestimmten Person wird nicht unbedingt verlangt, um den Kontakt am Leben zu halten. Vielmehr ist es durch das ständige Updaten des eigenen Profils möglich, andere Menschen auf dem Laufenden über das eigene Leben zu halten, ohne sie – wie etwa das Senden einer E-Mail es tun würde – zur Reaktion zu zwingen. Eine Netzwerkfreundschaft muss nicht viel mehr bedeuten als eine ständige Erreichbarkeit für Menschen, die man einmal im Leben als »Freund« (im digitalen Sinn) definiert hat. Durch die freiwillige, aber andauernde Teilnahme am Leben des anderen, bleibt man nicht nur ein Teil dessen sozialen Umfelds, sondern auch in seiner virtuellen Umgebung verankert. Ein Austauschfreund aus den USA auch nach dem Austausch noch als Facebookfreund zu haben, bedeutet nämlich auch, dass man an der nordamerikanischen Kultur, an der Sprache, am Leben dort viel mehr Teil hat, als das noch
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