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gute freunde - boese freunde

gute freunde - boese freunde

Titel: gute freunde - boese freunde
Autoren: Elke Reichart
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überwinden |12| die soziale Abschottung und lassen uns Einsamkeit weniger spüren. Der Tag fängt gut an, wenn wir eine süße Nachricht von der richtigen Person erhalten oder eine Freundschaftsanfrage von unserem Flirt von letzter Nacht. Auf Blogs und auf Twitter wird das Leben der Stars und Sternchen unter der Lupe betrachtet, was zum erleichternden Fazit führt, dass sie auch nur Menschen mit Achterbahngefühlen sind, und das freut uns.

    Wir wollen nicht die Einzigen sein, die hin und wieder oder häufig leiden. Gossip gibt uns ein gutes Gefühl – eine kostenlose Therapie mit 2 4-Stunden -Garantie.

    Alles ist schön und gut, aber fragen wir uns mal, ob der Preis dafür doch nicht ein wenig zu hoch ist? Oder fragen wir uns besser nicht, weil wir Angst vor der Antwort haben?

    Eine Freundin von mir hat auf Facebook erfahren, dass ihr Freund mit ihr Schluss gemacht hat. Man könnte denken, dass dieser Mensch un petit peu Anstand besäße, wenigstens eine Nachricht zu schreiben. Nein! Nix da. Er hat einfach seinen Beziehungsstatus geändert und alle gemeinsamen Fotos gelöscht. Und dann Funkstille.

    Ein Freund von mir hatte über StudiVZ mit einer ehemaligen Arbeitskollegin gechattet. Ok, ich gebe zu, ein wenig zu flirtich, wenn man bedenkt, dass er eine Freundin hatte. Aber trotzdem auf korrekter Basis. Sie haben sich nie privat getroffen und hauptsächlich über alte Zeiten, gegenseitige Anziehungskraft |13| in der Vergangenheit und das übliche geredet. Seine Freundin, nennen wir sie Julia, kennt sein StudiV Z-Passwort . Sie hat die Nachrichten gelesen und schwuppdiwupp – es folgten Heulattacken, Beschimpfungen. Vertrauensbruch, ja sogar Untreue hat sie ihm vorgeworfen. Und dann: »Es ist aus! Ich kann dir einfach nicht mehr glauben!«
    What? Also mal ehrlich, wäre es ihr lieber gewesen, wenn er sich mit der Frau auf einen Kaffee face to face getroffen und über Anziehungskraft und das Ganze geredet hätte?
    Und hat sie nicht die Vertrauensbasis mit Erdbebenstärke fünf zerstört, indem sie sich aus Langeweile in seinen Account eingeloggt hat?

    Es ist doch so: Kommunikation, die nicht von Angesicht zu Angesicht oder zumindest über das Telefon erfolgt, ist kodiert. So wie ein Arbeitszeugnis. Man sagt »nett«, meint aber »Arsch…«. Man meint »Ich will dich sehen«, aber verstehen tut der andere »Ich steh auf dich!«.
    Es ist echt schwierig, das Gemeinte und das Geschriebene in einem Chatverlauf, einer Statusmeldung oder einem Posting richtig zu deuten. Man sieht, hört und fühlt oft was anderes, als wirklich gemeint ist. Man fängt an, zu viel zu interpretieren. Sagt dein Schwarm: »Süße …!«, dann schwebt man doch auf Wolke sieben.
    Aber wie ernst gemeint ist in einer Welt, in der »Hey, Süße« schon die normale Anrede in einer halböffentlichen Smalltalk-Nachricht an der Facebook-Wall geworden ist? Jedes Wort, das wir lesen oder im geschützten Raum unseres eigenen Zimmers in die Tastatur direkt in die S N-Öffentlichkeit hämmern, sollten wir auf die Goldwaage legen. Und Langenscheidt sollte sich mal überlegen, ein Bedeutungswörterbuch »Deutsch – Social Network, Social Network – Deutsch« herauszugeben.
    Mimik und Gestik sind die Basis eines Gespräches. Verhaltenspsychologen |14| erkennen aufgrund des Kommunikationsverhaltens sofort die Schwächen und Stärken eines Menschen. Doch wie soll das bei SN funktionieren?! Natürlich gibt es Grundmuster, aber schlussendlich ist doch nicht nur das Wort das aussagekräftigste Statement, sondern auch das, was zwischen den Zeilen steht. Und wie soll man das erkennen?

    Gesellschaftliche Regeln sind in unserer Gesellschaft fast ausgestorben. Ethisch verantwortliches Handeln wird seltener. Moral wird zum Fremdwort, und »Geben und Nehmen« wird zu »Nehmen und Nehmen«. Nur eine Regel haben wir beibehalten, aber in einer etwas abgewandelten Form: Teilen. Wir teilen viel – viel zu viel. Wir teilen einfach zu gerne, und vor allem haben wir ein immer stärker wachsendes Bedürfnis, der ganzen Welt mitzuteilen, was früher Teil unserer Privatsphäre gewesen ist.
    Wir sind süchtig nach Teilen und danach, Teil des Geteilten zu sein. So sehr, dass es schon beinahe masochistisch ist. Das Teilen geht so weit, dass wir allem, was uns an Gefühlen überwältigt – von großer Freude bis zur tiefen Verzweiflung – auf zwei Ebenen ausgeliefert sind – einmal in der Realität und dann in der virtuellen Realität der Social Networks.

    Wenn unser(e)
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