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gute freunde - boese freunde

gute freunde - boese freunde

Titel: gute freunde - boese freunde
Autoren: Elke Reichart
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Freund(in) uns nach einer langen Beziehung verlässt, dann leiden wir – natürlich. Wir heulen uns bei Mama, Freunden, Arbeitskollegen aus. Schimpfen, ziehen über ihn (sie) her. Wir sind verletzt. Diese extreme Phase dauert vielleicht zwei |15| Wochen. Und dann, als man anfängt, selber daran zu glauben, dass bald alles wieder gut ist, dann schaut man auf Facebook und schwuppdiwupp fällt man wieder zurück auf Los.
    Dein(e) Exfreund(in) hat den Beziehungsstatus auf Single geändert. Und dieses Gefühl, dass es auf einmal ganz offiziell ist, dass nun jeder davon weiß, macht dich zu einem(r) zitternden, nach Atem ringenden, heulenden EX. Alles ergibt auf einmal keinen Sinn mehr. Man stellt die ganze Beziehung infrage. Wie, was, warum, wieso quälen dich. »Hat er (sie) mich denn überhaupt geliebt?!«
    Plötzlich hat man das absurde Gefühl, dass das Schlussmachen auf Facebook viel intensiver und verletzender ist. Weil es öffentlich ist. Das, was zwischen zwei sich einmal liebenden Menschen passiert, wird kommentiert. Es wird gehätschelt, aufgebaut und aufgebauscht, getuschelt, geflirtet.
    Vor allem denkt man vielleicht auch drüber nach, dass jetzt die Bahn für andere Kandidaten(innen) frei ist. Also stalkt man seinen Expartner. Was passiert in seinem (ihrem) Leben? Wer postet, wer schreibt, wer kommentiert? Auf welche Partys geht er (sie)? Wie viel neue Freunde hat er (sie)? Woher kennt er (sie) diese Menschen?
    Kopfsausen. Gedankenbrausen. Seelenknast.

    Versetzen wir uns kurz in die Zeit zurück, als es nur eine Lebensebene gab, die man durchlaufen musste, das normale Aktions-Reaktionsschema: »Kneifen-Spüren-Blauer-Fleck-Schema«.Die Zeit, als es den Zeitkiller SN noch nicht gab, wo Menschen direkt kommunizierten, ohne Mitleser, die über den »Gefällt mir!«-Button auch noch Wertungen abgeben. Wo die schlimmste Methode des Schlussmachens das Telefon war. Wo die Außenwelt die Welt hinter der verschlossenen Tür war, wo Freunde Freunde waren und Liebe Zweisamkeit bedeutete.
    War das nicht schön?!
    |16| War das nicht schön, Zettelpost im Klassenzimmer zu kriegen mit »HDGDL«?
    War das nicht schön, mehr Zeit mit deinen wahren Freunden zu verbringen als im Chat mit Unbekannten?
    War das nicht schön, Erinnerungen Erinnerungen sein zu lassen und nicht immer neu zu leiden, weil das Verlorene, Zerbrochene, Verspielte wieder und wieder vor deiner Nase auftaucht?

    War das nicht schön, dass manchmal niemand wusste, wo du dich aufhältst oder was du denkst?

    Als Kind habe ich es geliebt, mich zu verstecken. Einen Ort zu suchen, wo mich für kurze Zeit niemand finden konnte. Dann habe ich mir in mein kleines Fäustchen gelacht und mich gefreut.
    Als ich größer wurde, habe ich angefangen, Tagebuch zu schreiben. Das war für mich ein Ort, wo ich keine Angst haben musste, meinen Gedanken, meinem Schmerz und meiner Freude freien Lauf zu lassen. Ich habe mich nicht schämen müssen, dass ich irgendwas Falsches oder Übertriebenes dachte. Als Teenager war Lyrik für mich der kodierte Gefühlsausbruch für alles. Ich habe Worten Stimme gegeben. Es klang schön. Und diese Schönheit hat andere zum Nachdenken angeregt. Aber niemand wusste, was sich wirklich hinter diesen Worten verbarg. Meine Geheimnisse. Meine Gedichte.
    Und heute? Man lüftet wie selbstverständlich seine intimsten Gedanken. Ich kenne fast niemanden mehr, der seinen eigenen geheimen Ort hat. Es ist alles überschaubar geworden. Aber nicht einfacher. Jeder weiß über jeden Bescheid: »Du bist doch |17| der, der mit einem Freund von einem Freund von mir im Urlaub war.« – »Deine Eltern haben sich doch scheiden lassen?!« – »Du machst doch gerade Praktikum bei BMW!« – »Du studierst doch in Berlin!?«
    Kenn ich dich? Woher weißt du das?
    Wie weit geht die Information über unsere vier Wände hinaus. Wie »connected« sind wir wirklich? Nur weil ich mit dir auf einer der Plattformen befreundet bin, heißt das, dass du dann all diese Informationen besitzt und kommentieren darfst? Information ist Macht, Macht über mich. Und du weißt zu viel …

    Es bleiben letzte Fragen: Sind SNs ein Übel? Oder ist die Veränderung in unserem Leben durch SN zu groß und zu neu, als dass wir damit korrekt umgehen könnten? Schaden wir uns selbst? Immer wieder? Sind wir einfach noch nicht bereit für diesen Fortschritt?
    Ich glaube, dass wir uns Hals über Kopf in ein neues Land gestürzt haben, für das es noch keinen Reiseführer gibt. Und jetzt stecken
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