Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesang der Untoten

Gesang der Untoten

Titel: Gesang der Untoten
Autoren: Carter Brown
Vom Netzwerk:
1
     
    »Ausgerechnet heute mußt du zu
spät kommen!« fauchte Johnny Rio. »Madame Mavis hat es wieder einmal nicht
fertiggebracht, ihre reizenden Augenlider rechtzeitig hochzuwuchten.«
    »Tut mir leid«, entschuldigte
ich mich. »Aber ich habe meine Strumpfhosen falsch herum angezogen und bin
rückwärts in eine Mauer gelaufen.«
    Das war selbstverständlich ein
Witz, aber manchmal hat Johnny einfach keinen Sinn für Humor. Manchmal frage
ich mich sogar, was ich eigentlich in der Rio-Detektei als Juniorpartner zu tun
habe — abgesehen von Kaffeekochen und Tippen; meist komme ich zu dem Schluß,
daß ich es nur der Kohlen wegen auf mich nehme.
    »Seit einer halben Stunde
wartet Mr. Delaware in meinem Büro«, rumpelte Johnny weiter. »Und zwar wartet
er auf dich!«
    »Wie nett von ihm«, meinte ich
zweifelnd. »Warum wartet er eigentlich auf mich?«
    »Wenn du jetzt endlich in mein
Büro kommen würdest, hätte er ja Gelegenheit, dir das zu erklären. Vergiß
nicht, Mr. Delaware ist ein sehr wichtiger Mann. Er ist der Präsident...«
    »Huch!« sagte ich. »Und wo ist
Ford hingekommen? Ich wußte gar nicht, daß er krank ist.«
    »...von Anathema Records, du
blondes Perlhuhn!« beendete Johnny seinen Satz unfreundlich. »Er ist unser
neuer Kunde.«
    So folgte ich Johnny in sein
Büro, und der neue Kunde stand auf, um uns zu begrüßen. Er war gut über
einsachtzig groß. Dichte schwarze Haare hingen ihm bis zu den Schultern, und
sein Schnurrbart ließ die Enden in das Dickicht seines langen Bartes hängen. Er
sah aus wie eine Kreuzung zwischen einem Piraten und einem indischen Guru. Will
sagen, er war der haarigste Bursche, dem ich in meinem ganzen Leben begegnet
war.
    »Dies ist Mavis Seidlitz«,
sagte Johnny Rio und fletschte die Zähne. »Die Mavis Seidlitz, auf die Sie so
lange warten mußten, was mir sehr leid tut.«
    Mr. Delaware lächelte mir zu.
Unter dem ganzen Sauerkraut hatte er hübsche Zähne. »Das Warten hat sich
definitiv gelohnt, Miss Seidlitz«, sagte er.
    Ich lächelte zurück. »Vielen
Dank, Mr. Delaware.«
    »Sagen Sie Burt zu mir.«
    »Nennen Sie mich Mavis.«
    »Wenn ihr mit den Höflichkeiten
fertig seid, könnt ihr mich ja in meinem Büro anrufen«, seufzte Johnny. »Oder
sollten wir nicht vielleicht doch zum Geschäft kommen?«
    Also setzte ich mich und schlug
automatisch die Beine übereinander, obwohl ich einen Hosenanzug trug. Das hatte
ich mir wegen der Minis angewöhnen müssen. Johnny ließ sich hinter seinem
Schreibtisch nieder, Burt setzte sich in den Sessel, aus dem er gerade
aufgestanden war. Dann schauten wir uns eine Weile nur an. Um es genau zu
sagen, ich guckte beide an, Johnny sah Burt, und Burt starrte mich an. Mir
wurde ohne weiteres klar, daß er festzustellen versuchte, ob ich einen BH trug
oder nicht. Ich hatte keinen an, und es ist immer ein wenig schmeichelhaft,
wenn die Herren sich da nicht so sicher sind.
    »Vielleicht sollten Sie Mavis
jetzt erklären, wo Ihr Problem liegt«, meinte Johnny schließlich.
    »Gute Idee«, sagte Burt. Man
konnte fast hören, wie in seinem Kopf widerwillig ein anderer Gang eingelegt
wurde. »Haben Sie schon mal von Mango Pickle and the Undead gehört?«
    »Klar«, sagte ich. »Die sind
irre. Auf Colonel Zap fahr ich geradezu ab. Die haben einen wilden drive.«
    »Im Augenblick sind sie auf
Tournee«, erklärte Delaware. »Sieht so aus, als würde ihre neue LP ein dickes Ding,
also wird es Zeit, die Jungs international rauszubringen.«
    »So, so«, meinte ich und wußte
nicht genau, wovon er eigentlich sprach.
    »Deshalb schicken wir sie nach
England. Den ersten Auftritt haben sie in zwei Wochen in der Albert Hall.«
    »Klingt ja phantastisch!« sagte
ich in dem verzweifelten Versuch, begeistert zu wirken.
    »Das ist noch längst nicht
alles«, sagte er leise und ehrfürchtig. »Raten Sie mal, wer mit ihnen zusammen
auftreten wird?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    »Sophie Ventura«, hauchte er.
    »Sophie Ventura?« Mir blieb der
Mund offen. »Auf der Bühne?«
    »Genau. Zum erstenmal.«
    »Wild!« sagte ich. »Ich habe
mir ihre erste Platte gekauft und beim Zuhören echt geheult. Sie ist die
Größte.«
    »War ein Monster, diese
Scheibe«, sagte Burt vergnügt. »Wissen Sie was, Mavis? Ich bin der Präsident
der Gesellschaft, die ihre erste Platte herausgebracht hat, aber ich habe sie
noch nie persönlich gesehen.«
    »Soll das heißen, daß die
Geschichten in den Zeitungen wahr sind?«
    »Zum erstenmal hörte ich von
ihr, als eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher