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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin
Autoren: Iny Lorentz
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meines Vaters in der ersten Zeit für uns verwenden, bis unser neues Heim errichtet ist.«
    Sie streckte ihm die Hand hin und zog ihn an sich. Ihr Blick streifte dabei ihre Begleiter und den Tross, den sie mit sich führten. Nicht weit von ihnen stand Paavo, der gleich ihnen all die Fährnisse des Krieges gut überstanden hatte und nun Sergej als Bursche diente. Er hielt ihre beiden Pferde, wobei Goldfell wie zum Spaß an seiner Kappe knabberte und ihn nicht wenig in Bedrängnis brachte. Der Bursche hatte fast schon vergessen, unter welchen Umständen er zu den Russen geraten war, nannte sich jetzt Pawel und machte Schirins Zofe schöne Augen. Neben Paavo saß Kitzaq auf seinem Pferd und wirkte so ungerührt, als habe man ihn an einen unbekannten Ort geführt. Seine junge, hübsche kalmückische Frau hielt sich eine halbe Pferdelänge hinter ihm. Sie war eine Tochter Kangs, der sie seinem Waffenbruder zum Geschenk gemacht hatte, zur Belohnung, weil Kitzaq ihm das Leben gerettet hatte. Schirin hatte in der Zwischenzeit beobachten können, dass die beiden sich stark zueinander hingezogen fühlten und ihre Zuneigung offener zeigten, als das bei den Steppenstämmen Sitte war.
    Kitzaq hatte seine Position als rechte Hand Sergejs mit Geschick und Zähigkeit ausgebaut und Wanja dabei verdrängt, doch der Wachtmeisterhatte sich rasch mit einer neuen Aufgabe getröstet. Er stand nun neben dem Reisewagen Marfa Alexejewnas, die Jekaterina verlassen hatte, um ihrer Nichte bei der Gründung eines Haushalts beistehen zu können, und wartete darauf, dass sie ihm die wichtigste Person aus dem Wagen reichte, die es ihrer Meinung nach in dem ganzen Zug gab, nämlich Alexej Sergejewitsch Tarlow-Naryschkin, der den letzten Teil der Reise wohl behütet auf dem Schoß seiner Großtante verschlafen hatte und nun lauthals verkündete, dass er hungrig sei.
    »Plane du deine Stadt, Sergej, ich habe jetzt andere Pflichten.« Schirin drehte sich lachend um und lief zu ihrem Sohn hinüber. Sergej fand jedoch, dass seine Pläne warten konnten, und folgte ihr. Während seine Frau den übrigen Mitgliedern des Zuges den Rücken zukehrte und ihre Bluse öffnete, um ihren Sohn an die Brust zu legen, blieb Sergej hinter ihr stehen und umfasste sie sanft.
    »Können wir Sascha heute Nacht der guten Marfa anvertrauen?«, fragte er mit einer Sehnsucht, die ihre Sinne vibrieren ließ.
    »Ihr oder Wanja«, antwortete sie und rieb ihr Gesäß an seiner Hüfte. Sergej durchlief es heiß und kalt, und er verfluchte die Anwesenheit der Leute, die es ihm unmöglich machte, seine Frau auf der Stelle an sich zu reißen und mit ihr in einem der Wagen zu verschwinden. Um sich von seinem Verlangen nach ihr abzulenken, ließ er sie los und brüllte die ihm unterstellten Dragoner und Kosaken an.
    »Haltet keine Maulaffen feil, sondern schlagt das Lager auf! Vor allem aber sorgt dafür, dass dieses Haus dort gesäubert und bewohnbar gemacht wird. Meine Frau und ich wollen heute Nacht unter einem richtigen Dach schlafen.«
    »Schlafen?«, fragte Kitzaq anzüglich und warf dabei seiner Frau einen Blick zu, der ihr verriet, dass auch sie in dieser Nacht nicht viel zum Schlafen kommen würde.
    Den kleinen Alexej kümmerten die Pläne der Erwachsenen noch nicht. Er gluckste nun satt und zufrieden und lächelte seine Mutter so treuherzig an, dass Schirin beinahe die Welt um sich herum vergaß.

Historischer Überblick
     
    Als die Herrscher von Dänemark, Sachsen-Polen und Russland sich gegen Carl XII., den jungen und unerfahrenen neuen König von Schweden verbündeten, wussten sie nicht, dass sie einen der längsten und blutigsten Kriege des beginnenden achtzehnten Jahrhunderts vom Zaun brechen und die eigenen Reiche bis an den Rand des Zusammenbruchs bringen würden.
    Die Beweggründe, aus denen sich die drei Herren zu diesem Schritt entschlossen, waren ebenso unterschiedlich wie ihre Charaktere. Christian V., in Personalunion König von Dänemark und Norwegen, wollte nicht nur das früher dänische Südschweden und etliche an Schweden verlorene norwegische Provinzen wieder gewinnen, sondern sich auch jener norddeutschen Gebiete bemächtigen, die seit Ende des Dreißigjährigen Krieges schwedisch waren. August Friedrich von Sachsen, als August II. auch Wahlkönig von Polen, strebte nach den von Schweden beherrschten baltischen Herzogtümern Livland und Estland, um sich dort zum König krönen und seinen Nachkommen eine Erbmonarchie hinterlassen zu können. Am bescheidensten
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