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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin
Autoren: Iny Lorentz
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Vorsicht war jedoch unnötig, denn der Mann war tot. Es war kein Schwede, sondernKirilin, der in einer Dragoneruniform gesteckt hatte. Der Verräter hatte wohl zu Ende bringen wollen, was den von ihm ausgesandten Meuchelmördern nicht gelungen war. Sergej schüttelte es, als er auf Kirilins noch im Tod hasserfülltes Gesicht niederblickte, und schlug dann doch das Kreuz in der Hoffnung, Gott möge dem Mann gnädig sein.
    Als er zum Zaren zurückkehrte, sah ihn dieser durchdringend an.
    »Wer war es, dieser Tatar aus Ajsary oder Kirilins Bursche Faddej?«
    »Kirilin selbst«, antwortete Sergej.
    »Ein Verräter weniger!« Pjotr Alexejewitsch klopfte Sergej noch einmal auf die Schulter und setzte seinen Rundgang über das Schlachtfeld fort.
    Sergej atmete tief durch und blickte Schirin, wie er hoffte, strafend an.
    Sie aber sah mit leuchtenden Augen zu ihm auf. »Ich bin stolz auf dich.«
    »Aber gewiss nicht so stolz wie ich auf dich.« Eigentlich hatte er Schirin schelten und ihr sagen wollen, wie sie ihn mit ihrem Täuschungsspiel zum Narren gemacht und sich jetzt völlig unnötig in Lebensgefahr gebracht hatte. Stattdessen riss er sie an sich, küsste sie innig und musste dann ein paarmal tief durchatmen, um nicht in haltloses Schluchzen auszubrechen.
    »Bin ich froh, dass es so gekommen ist.«
    »Du meinst unseren Sieg über die Schweden?«
    »Nein, ich bin so glücklich, dass du eine Frau bist! Weißt du, Bahadur – nein, ich meine Schirin –, ich habe dich vom ersten Augenblick an sehr sympathisch gefunden und mir deine Freundschaft und Zuneigung erwerben wollen. Natürlich war ich damals überzeugt, du wärst ein Junge, und ich gebe zu, dass ich dich trotzdem mehr begehrt habe, als Gott es in Seiner Gnade erlaubt hat. Als du dann zu den Schweden geflohen bist, habe ich mir die Schuld dafür gegeben, weil ich dich geschlagen hatte. Ich bin so verzweifelt gewesen, dass ich nicht mehr wusste, was ich machensollte, und als es hieß, man hätte dich gefangen, habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich dich befreien könnte. Aber …« Sergej brach ab und barg sein Gesicht an ihrer Schulter.
    Sie strich über sein schmutziges, blutverkrustetes Haar, unter dem eine schon halb getrocknete Wunde zu fühlen war. »Jetzt ist alles gut, das heißt, wenn du mich so magst, wie ich bin.«
    Sergej hob den Kopf und sah sie mit großen Augen an. »Und ob ich dich mag! Ich hoffte, einen Freund zu gewinnen, und habe eine wundervolle Frau erhalten.«
    Schirin lächelte unter Freudentränen. »Ich hoffe, ich bin auch noch dein Freund!«
    »Das bist du, und das wirst du auch bleiben!« Sergej zog Schirin an sich und spürte, dass sie nun für ihn bereit war. Er schämte sich ein wenig, inmitten eines blutigen Schlachtfelds an eine innige Zweisamkeit zu denken, sehnte aber dennoch den Augenblick herbei, in dem sie in sein Zelt schlüpfen und den Eingang von innen verschnüren konnten.
    Zunächst aber musste er sich um seine Leute kümmern. Seine Steppenreiter hatten bei dem harten Kampf um die Schanzen weitere Verluste hinnehmen müssen, und viele waren verwundet, doch das tat ihrer Laune keinen Abbruch. Die Männer ließen Sergej und Schirin, die sie noch immer Bahadur nannten, hochleben und begannen dann, die toten Schweden auszuplündern. Sergej überließ Wanja und Tirenko die Aufsicht über sie und ergriff Schirins Arm, um sie zum Lager zurückzuführen. Unterwegs sahen sie immer mehr Soldaten und Kosaken, die sich am Eigentum der gefallenen Feinde bereicherten. Einer der Männer führte sogar zwei Pferde weg, die er eingefangen hatte.
    Das war etwas, was Sergej nicht hinnehmen wollte, denn wie die Kanonen galten Pferde als Beute des Zaren. Er ließ Schirin los, um dem Mann zu folgen, da hörte er den erstaunten Ausruf seiner Frau.
    »Bödr!«
    Es war tatsächlich Ilgurs kalmückischer Diener. Der Mann ducktesich ängstlich, als er seinen Namen hörte, und drehte sich langsam um. Bei Schirins Anblick glätteten sich seine Gesichtszüge wieder. Da sie die ihm bekannte Tracht trug, hielt er sie für Bahadur und zeigte ihr gestenreich, wie sehr er sich freute, dass sie diese Schlacht wohlbehalten überstanden hatte.
    »Was will der Kerl?«, fragte Sergej, der den Kalmücken nun ebenfalls erkannt hatte und sich wunderte, ihn in der Kleidung eines ukrainischen Kosaken wieder zu sehen.
    Bödr antwortete mit einer Handbewegung, die Schirin als »ich will verschwinden« übersetzte.
    Sergej knurrte ungehalten. »Wegen mir kann er es
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