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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin
Autoren: Iny Lorentz
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hatte, gerne wieder gesehen hätte, und froh, weil ihr die Begegnung mit Zeyna und einigen anderen erspart geblieben war. Achselzuckend wandte sie sich an Sergej, der in der modischen Uniform eines russischen Obersten der Garnisonstruppen neben ihr stand.
    »Hier hat alles begonnen, und nun ist mir nichts geblieben als die Erinnerung.«
    Sergej interessierte sich weniger für das, was gewesen war, als für das Heute und das, was einmal sein würde. »Dieser Ort eignet sich gut für eine Festung und eine kleine Siedlung!«
    Der Zar selbst hatte ihm die Aufgabe übertragen, ein gutes Stück östlich von Karasuk einen Stützpunkt zu errichten, um dieses neu eroberte Stück Sibirien für Russland zu sichern. Für andere Offiziere mochte eine Versetzung an die Grenze im Osten einer Verbannung gleichkommen, doch für ihn war es eine Rückkehr in ein lieb gewordenes Land, die Heimat seiner Frau, die gewiss auch die seine werden würde. Während er schon die Festung plante und den Marktflecken, der sich darum entwickeln würde, verweilten Schirins Gedanken in der Vergangenheit. In Karasuk hatte sie von Oberst Mendartschuk erfahren, dass ihr Vater seinen Stamm heimlich über die Grenze geführt und sich unter den Schutz und die Herrschaft des chinesischen Kaisers begeben hatte. Möngür hatte ihr anscheinend nicht zugetraut, die Russen lange täuschen zu können, und sich bestimmt keinen so wundersamen Ausgang ihres Abenteuers vorgestellt.
    Vier Jahre waren vergangen, seit sie von hier aufgebrochen war, das Herz voller Hass auf die Russen, und nun war sie selbst eine Russin geworden. Auch die Schlacht von Poltawa, in der sie ihr Glück gefunden hatte, lag bereits mehr als zwei Jahre zurück. Niemand hätte sich am Abend jenes denkwürdigen Junitags, an dem Sergej ihr mitten auf dem Schlachtfeld seine Liebe gestanden hatte, vorstellen können, wie entscheidend dieser Sieg sein würde. Das Heer des Schwedenkönigs war beinahe völlig aufgerieben worden, und die Reste hatten sich bis auf den Kern um Carl XII. wenige Tage später den russischen Truppen ergeben. Der König selbst war mit seiner Garde und Masepas überlebenden Kosaken ins Osmanische Reich geflüchtet und sollte sich den Gerüchten nach immer noch dort aufhalten. Dennoch ging der Krieg mit Schweden weiter, aber er wurde nun nicht mehr auf russischem Boden geführt, sondern jenseits der Grenzen in Finnland, und die neuesten Nachrichten besagten, dass der Zar seine Truppen bis ins schwedische Kernland führen wolle.
    Pjotr Alexejewitsch hatte die siegreiche Schlacht bei Poltawa im ganzen Land feiern lassen, und Schirin und Sergej hatten in dieser Zeit zu seinem Gefolge gehört. Sie erinnerte sich an die ausgelassenen Feste in Kiew, den großen Triumphzug in Moskau und die erhabene Feier in Sankt Petersburg, das mit diesem entscheidenden Sieg für Russland gesichert worden war. Dort an der Newa hatte sie auch Ostap wieder gesehen. Aus dem Knaben, den sie auf ihrem Weg nach Westen hatte trösten müssen, war ein selbstbewusster junger Mann geworden, der seinen Weg in der russischen Marine machen würde. Er hatte die heimatliche Steppe längst vergessen und würde wohl nie mehr hinter den Ural zurückkehren. Da Schirin nichts mehr von Bödr und Ilgur gehört hatte, nahm sie an, dass sie die Einzige aus der Schar der Geiseln war, die den Weg in die Heimat zurückgefunden hatte.
    Mit dem Sieg von Poltawa war auch die Verschwörung zusammengebrochen, an deren Spitze, wie man jetzt wusste, General Gjorowzew gestanden hatte. Seine Helfershelfer Schischkin und Kirilin waren bei Poltawa umgekommen, Major Lopuchin hatte, als manihn festnehmen wollte, Selbstmord begangen, und Jakowlew, der einstige Kommandant von Ufa, verstärkte nun mit einigen anderen Mitverschwörern das Heer der Zwangsarbeiter, die für den Zaren die Stadt Sankt Petersburg ausbauen mussten. Von Gjorowzew hieß es, er sei zu den Schweden geflüchtet, doch hatte Pjotr Alexejewitsch bereits erklärt, dass es ohne seine Auslieferung keinen Frieden geben würde. Obwohl bei den Verhören niemals die Namen des Zarewitschs und seines Beichtvaters gefallen waren, hatte der Zar die beiden getrennt und Ignatjew in ein Kloster im Nordmeer verbannt, da er in ihm den wahren Initiator der Verschwörung sah.
    Schirin schüttelte die Erinnerungen an Krieg und Verrat ab und blickte ihren Mann mit vor Liebe leuchtenden Augen an. »Das ist wirklich ein schöner Platz für eine Siedlung, Sergej. Vielleicht können wir das Haus
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