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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin
Autoren: Iny Lorentz
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gefährlicher war als der Aufstand von ein paar tausend Wogulen, Ostjaken und Tataren. Sergej erinnerte sich nur mit Schaudern an die verheerende Niederlage vor sieben Jahren an der Narwa. Pjotr Alexejewitsch Romanow war es seitdem gelungen, den Schweden einen Teil Ingermanlands wieder abzunehmen, aber er hatte nur gegen kleine, verstreute Garnisonen vorgehen müssen. Das Hauptheer der Schweden befand sich in Polen und Sachsen und trieb dort die Truppen des gar nicht so starken August zu Paaren. Aber jedermann wusste, dass der König der Schweden nur darauf lauerte, nach Russland einzubrechen und seine Drohung wahr zu machen, den Zaren vom Thron zu stoßen und ihn als Mönch in ein Kloster zu sperren.
    Sergej sehnte sich danach, wieder mit seinem Regiment zu reiten, anstatt sich mit Sibiriern herumschlagen zu müssen, die gehofft hatten, den Krieg im fernen Westen ausnützen zu können, um die russische Herrschaft abzuschütteln. Trotz der Bedrohung durch die Schweden an der Nordwestgrenze hatte der Zar rasch reagiert und Pawel Nikolajewitsch Gjorowzew, einen seiner besten Generäle, nach Osten geschickt, um die Aufständischen zur Räson zu bringen. Das war zum größten Teil auch gelungen, doch der General hatte das Ende der Operation nicht abgewartet, sondern führte wohl aufgrund schlechter Nachrichten den größten Teil seiner Truppen in Eilmärschen nach Westen und überließ die letzten Scharmützel drei zurückgelassenen Kompanien und den einheimischen Kosaken.
    Ein dicht an seinem Kopf vorbeifliegender Pfeil machte Sergej klar, dass er auf der Stelle handeln musste, wenn ihm der Erfolg nicht wie Sand durch die Finger rinnen sollte. Er stellte sich im Sattel auf und feuerte seine Pistole ab, um die Aufmerksamkeit der Tataren auf sich zu lenken.
    »Ihr sitzt in der Falle! Gebt auf, oder ihr werdet alle sterben.« Lähmende Stille antwortete ihm, und er fragte sich, ob die Aufständischen verrückt genug waren, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Wahrscheinlich aber waren sie der russischen Sprache nicht mächtig und konnten ihn daher nicht verstehen. In dem Moment, in dem er einen Kosaken zu sich rief, der für ihn übersetzen sollte, kam eine Antwort.
    »Schwörst du, meinen Stamm zu schonen, wenn wir die Waffen niederlegen?« Die Frage war berechtigt, denn einige Kosakentrupps waren wie Wölfe über die wehrlosen Dörfer der Aufständischen hergefallen und hatten in ihrem Blutrausch alles niedergemetzelt, was ihnen vor die Säbel gekommen war.
    Sergej war es bei all seinen bisherigen Aktionen gelungen, seine Leute im Zaum zu halten, und er wollte es auch diesmal nicht zu einem Massaker kommen lassen. »Wenn du dem Zaren Treue schwörst, den Jassak bezahlst und mir deinen ältesten Sohn als Geisel für dein weiteres Wohlverhalten auslieferst, wird deinen Leuten nichts geschehen!«
    Sergejs Worte brachten Möngür Khan in arge Bedrängnis. Seine Frauen hatten ihm so viele Töchter geboren, dass er es aufgegeben hatte, sie zu zählen, aber bisher nur zwei Söhne. Bahadur, der Ältere, war vor zwei Jahren bei einer Stammesfehde ums Leben gekommen, und der Jüngere wurde gerade erst vier Jahre alt. Dieses Kind dem Feind zu übergeben, hieß, es dem Tod durch Krankheit oder mangelnde Pflege auszuliefern. Überlebte sein Sohn wider Erwarten, würde man einen Russen aus ihm machen, der Allah vergessen und vor einem goldstrotzenden Popen in die Knie sinken würde, um ihm wie ein Hund die Hand zu lecken.
    Möngür wandte sich mit einer hilflosen Geste an seinen Stellvertreter. »Rate du mir, was ich tun soll!«
    Kitzaq starrte zu den Kosaken hinüber, deren Läufe jeden Augenblick einen tödlichen Bleihagel speien konnten, und wusste, dass es nur eine Möglichkeit gab, ihr Leben und damit auch den Stamm zu retten. »Du musst auf ihre Forderung eingehen, Möngür. Allah ist gerecht, er wird Ughur beschützen oder dir einen weiteren Sohn schenken.«
    »Allah hat uns auch in diesem Krieg nicht geholfen, wie sollte er es in Zukunft tun?«, antwortete Möngür hitzig und erschrak dann selbst über diese ketzerischen Worte. Im Grunde seines Herzens wusste er, dass Kitzaq Recht hatte. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als den Kelch der Bitternis bis zur Neige zu leeren. Nach kurzem inneren Kampf senkte er resignierend den Kopf.
    »Wir ergeben uns, Kosak!« Möngür erstickte beinahe an diesen vier Worten. Mit einem bedauernden Blick warf er seine Luntenflinte beiseite, die er von einem russischen Händler für ein
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