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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin
Autoren: Iny Lorentz
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gegen den Zaren erhoben und müsst dafür bestraft werden.« Sergej musterte den Khan eingehender, denn er wunderte sich über dessen ungewöhnlich flüssiges Russisch. Die Sibirier, die er bisher kennen gelernt hatte, sprachen, wenn sie versuchten, sich in seiner Muttersprache auszudrücken, ein kaum verständliches Kauderwelsch. Dieser Tatar aber redete so, als habe er jahrelang in Moskau gelebt, obwohl das Gebiet, in dem sein Stamm lebte, nicht zum Russischen Reich gehörte. Letzteres war ein Zustand, den Sergej nun ändern wollte.
    »Du hast meine Bedingungen gehört, Tatar. Du wirst Seiner Majestät, dem Zaren, Treue schwören und ihm deinen ältesten Sohn als Geisel für dein zukünftiges Wohlverhalten ausliefern!«
    Möngür knurrte wie ein in die Enge getriebener Wolf. »Mein Stamm wird den Zaren als Herrn anerkennen und ihm den Jassak zahlen, aber meinen Sohn gebe ich nicht her.«
    »Dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als euch hier über den Haufen zu schießen!« Sergej streckte die rechte Hand aus. Sofort hoben seine Kosaken ihre Flinten und zielten auf die Gefangenen. Als sie die Hähne spannten, sank der Tatar in die Knie und reckte Sergej die Arme entgegen.
    »Habe Mitleid, Herr! Wir wollen gewiss brave Untertanen eures Zaren sein, doch lass mir meinen Sohn. Du kannst Schafe haben und Pferde, so viele ich besitze, und dazu noch mehrere Tragtierlasten kostbarer Pelze! Ich habe sogar Gold, nämlich Münzen aus deinem Russland und aus Persien, und Goldstaub, wie er im Ob gewaschen wird. Alles ist dein, wenn du nur gnädig bist.« Möngür verachtete sich in diesem Augenblick, doch es ging um seinen einzigen Sohn, und für ihn war er bereit, jeden Preis zu zahlen.
    »Wenn du Weiber haben willst, kannst du dir ein paar von meinen Töchtern nehmen. Komm mit mir, und such dir die Schönsten unter ihnen aus!« Für einen Augenblick hoffte der Khan, der Offizier würde auf dieses Angebot eingehen. Billiger konnte er nicht davonkommen, denn Töchter besaß er mehr als Pferde, und jedes Jahr kamen ein paar neue dazu.
    Sergej empfand wider Erwarten Bedauern mit dem Khan, der sichtlich um seinen Sohn bangte. Doch die Befehle, die General Gjorowzew bei seinem Abmarsch hinterlassen hatte, waren unmissverständlich. »Es tut mir Leid, Tatar! Entweder lieferst du uns deinen Sohn aus, oder ihr bleibt unsere Gefangenen.«
    Einige Tataren in der Nähe atmeten auf, denn das hörte sich schon besser an als die Drohung, sofort über den Haufen geschossen zuwerden. Ein paar von ihnen warfen Kitzaq auffordernde Blicke zu, die der Schwager des Khans nicht ignorieren konnte.
    »Du hast vorhin selber gesagt, dass unsere Weiber und Kinder derzeit schutzlos sind. Willst du für ein kleines Kind unseren ganzen Stamm ins Unglück stürzen?«
    Möngür hörte das zustimmende Murmeln seiner Leute und begriff, dass sein eigenes Schicksal auf Messers Schneide stand. Wenn er seinen Sohn über das Wohl des Stammes stellte, würden die Krieger ihm die Treue versagen und Kitzaq zu ihrem neuen Anführer wählen, und da sein Schwager noch keine eigenen Söhne besaß, würde er seinen Neffen den Russen ausliefern. So oder so würde Ughur als Geisel verschleppt werden, also musste er jetzt nachgeben, wenn er Khan bleiben wollte. Er bedachte seinen Schwager mit einem mörderischen Blick und stieß die Worte aus, für die er wenige Augenblicke zuvor noch seine Zunge verschluckt hätte.
    »Es sei, Russe, du erhältst meinen Sohn!«
    »Gut! Du wirst jetzt einen deiner Leute bestimmen, der ihn zu mir bringt. Vier Kosaken werden den Mann unter der Führung meines Wachtmeisters begleiten. Sollte meinen Leuten das Geringste zustoßen, werdet ihr alle erschossen!«
    Der Khan fuhr erschrocken auf. »Und was geschieht mit uns, während deine Männer zu unserem Ordu reiten?«
    »Wir bringen euch nach Karasuk«, beschied Sergej ihm kühl. »Dort werdet ihr den Treueid auf den Zaren ablegen. Jetzt nenne mir deinen Boten!«
    Der Offizier ist trotz seiner Jugend ein gerissener Bursche, dachte Möngür und musterte Sergej mit widerwilliger Anerkennung. Dann drehte er sich zu seinem Schwager um. »Reite du zum Ordu. Dir wird Zeyna am ehesten gehorchen.«
    In seiner Stimme schwang Angst mit, seine Lieblingsfrau könnte sich weigern, ihren Sohn herauszugeben, aber auch heimliche Schadenfreude. Wenn Kitzaq seine Schwester dazu zwang, Ughur den Russen auszuliefern, würde Zeyna ihm dies nie verzeihen und seinAnsehen im Stamm so ruinieren, dass keine Gefahr
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