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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin
Autoren: Iny Lorentz
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mehr bestand, der Stamm würde ihn zum nächsten Khan wählen.
    Kitzaq schüttelte es, als er den Befehl vernahm, denn er kannte seine Schwester und hätte diesen Auftrag nur allzu gerne einem anderen überlassen. Aber er war neben Möngür der Einzige, der Zeyna zum Gehorsam zwingen konnte.
    Die Dämmerung warf von Osten her ihr graues Tuch über das Land, und es war zu spät, an diesem Tag noch weiterzureiten. Daher befahl Sergej seinen Männern, ein Lager aufzuschlagen und die Tataren gut zu bewachen. Nach einer ereignislosen Nacht und einem kargen Frühstück brachen zwei Gruppen auf, der Haupttrupp mit den Gefangenen Richtung Karasuk und Wachtmeister Wanja mit seinen vier Kosaken und dem Schwager des Khans nach Osten, zum Ordu der Tataren.

II.
    Möngürs Dorf lag auf einer Art Hochplateau über dem hier flach abfallenden Ufer des kleinen Flusses Burla, der etliche Werst weiter in den noch recht jungen Ob mündete. Die kleinen Felder rings um die Siedlung verrieten, dass dieser Stamm nicht mehr aus reinen Weidenomaden bestand, sondern ein festes Sommerlager bezog. Darauf wies auch die mannshohe Palisade hin, die das Dorf umgab. Sie bestand aus einzeln stehenden Pfosten, die mit geflochtenen Zweigen verbunden waren, und schloss neben etlichen flachen, runden Filzjurten eine hölzerne Hütte nach russischem Vorbild ein, den Palast des Khans. Außerhalb des Schutzzauns gab es weitere Jurten verschiedener Größe. Deren Schmuck und die Tracht der Frauen, die zwischen ihnen hin- und herliefen, wiesen darauf hin, dass sie zu verschiedenen Stammesabteilungen gehörten, die sich nur wegen des Kriegszugs der Hauptgruppe angeschlossen hatten.
    Wanja schätzte die Zahl der in diesem Ordu lebenden Menschen auf knapp über fünfhundert. Es waren zunächst nur Frauen, Kinder und ältere Männer zu sehen, aber als die Annäherung der kleinen Gruppe entdeckt wurde, kamen auch einige jüngere, ausnahmslos verwundete Krieger aus den Jurten, denen im Gegensatz zu Möngürs Haupttrupp die Flucht vor den Russen gelungen war.
    Während Wanja auf den ihm am nächsten gelegenen Eingang des Ordu zuritt, lockerte er unwillkürlich seinen Kragen und atmete tief durch. Aus den Augenwinkeln sah er, dass die Situation seinen Kosaken ebenfalls nicht geheuer war. Eine Hand um die Zügel gekrallt, die andere um den Karabiner, näherten sie sich dem Zeltdorf, als wäre es ein schlafendes Ungeheuer, das jeden Augenblick erwachen und sich auf sie stürzen konnte.
    Die Tataren schienen noch nichts von der Gefangennahme ihres Khans zu wissen, denn sie verhielten sich recht friedlich, und nur ihre hasserfüllten Blicke verrieten, dass sie die Kosaken nicht als Gäste, sondern als Feinde ansahen.
    Wanja zügelte sein Pferd und sah Kitzaq unter hochgezogenen Augenbrauen an. »Gib bloß Acht, dass deine Leute keinen Unsinn machen!«
    Möngürs Schwager nickte kurz und stellte sich im Sattel auf, damit seine Stammesfreunde ihn sehen konnten. »Ich bringe Nachricht von Möngür!«
    »Was ist mit unserem Khan?«, rief einer der älteren Krieger misstrauisch.
    »Wir sind in eine Falle der Russen geraten und gefangen genommen worden«, brüllte Kitzaq über das Dorf, so dass seine Stimme in jeder Jurte gehört werden konnte. Ein Aufstöhnen ging durch die Reihen der Männer, und einige der jungen Krieger, die vom Schlachtfeld geflohen und ins Ordu zurückgekehrt waren, wurden mit so vorwurfsvollen Blicken bedacht, als gäbe man ihnen die Schuld an dem Unglück.
    Kitzaq streckte fordernd die Hand aus. »Lasst uns jetzt ein und bringt meinen Begleitern etwas zu essen und Kumys. Ich muss mit Zeyna sprechen.«
    Die Männer machten ihm widerwillig Platz, doch bevor er weiterreiten konnte, schüttelte Wanja den Kopf. »Wir fünf bleiben außerhalb des Dorfes, und euren Kumys könnt ihr ebenfalls für euch behalten. Uns reichen Fleisch und Wasser.«
    Die Kosaken protestierten leise, denn sie hätten nichts gegen einen Schlauch vergorener Stutenmilch einzuwenden gehabt. Kumys war zwar kein guter russischer Wodka, aber wenn man genug davon trank, wurde einem auch davon der Kopf angenehm leicht. Wanja hatte jedoch gute Gründe, ihnen das berauschende Getränk zu verbieten. Im betrunkenen Zustand hätten die Kosaken sich ungeachtet der Krieger im Ordu an den tatarischen Frauen vergriffen, under hatte keine Lust, wegen ein paar besoffener, geiler Kerle ins Gras zu beißen.
    »Die paar Tage werdet ihr wohl noch ohne Schnaps aushalten können, ihr Narren!«, herrschte er
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