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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs
Autoren: Alan Furst
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die dazu passenden Augen. »Den ganz bestimmt nicht. Der ist im Mai 40 mit einem Trawler rübergekommen und mit mir von London bis hierher geflogen, nur für dies kleine Dinner zu Ihren Ehren. Echter Genever, made in Schiedam.« Er tätschelte das in Schreibschrift ins Glas eingebrannte Etikett.
    »Meine Freunde«, sagte Leiden, »Sie gestatten?« Er stand auf, hielt sein Glas in die Höhe, und alle anderen außer Hoek folgten seinem Beispiel. Leiden legte eine gedehnte Pause ein, bevor er sagte, »Op Nederland.« Im Chor sprachen sie die Worte nach, und De Haan sah, wie Hoek die Armlehne seines Rollstuhls umklammerte, so dass sich die Fingerknöchel weiß färbten, und er sich ebenfalls erhob, um den Trinkspruch zu würdigen. Als Nächstes tranken sie auf den Sieg, Hoeks Toast, und dann, von Wilhelm ausgebracht, auf den erfolgreichen Ausgang neuer Unternehmungen, wobei Terhoven De Haan einen viel sagenden Blick zuwarf und konspirativ die Augenbrauen hochzog. Damit war De Haan an der Reihe, der bereits von dem Moment an, als Leiden sein Glas erhob, verzweifelt um die passenden Worte rang. Schließlich sagte er, als aller Blicke auf ihm ruhten, in gelassenem Ton: »Nun denn, auf abwesende Freunde.« Das war konventionell und ziemlich abgedroschen, doch bei dem Gedanken an jene Freunde, die in Europa hinter Stacheldraht und unter Suchscheinwerfern saßen, hatte es an diesem Abend Gewicht.
    »Darauf Amen«, sagte Terhoven und schickte sich an, die Gläser aufzufüllen. Als er fertig war, sagte er: »Ich schlage vor, wir trinken auf Kapitän Eric de Haan, unseren Ehrengast, den Sie zweifellos genauso schätzen lernen werden, wie ich es schon lange tue.« De Haan senkte den Blick und war mehr als dankbar, als die Gläser geleert waren und man anfing, miteinander zu plaudern.
    Terhoven gab zum Besten, wie er in einem Sunderland-Flugboot von London hergeflogen war und sich dabei fast ausschließlich in der Gesellschaft von Passagieren mit Aktentaschen befunden hatte, die kein Hehl aus ihrer entschiedenen Abneigung gegen jegliche Konversationsversuche gemacht hatten. »Ein Nachtflug, der Stunden dauerte, in denen wir nur auf die deutsche Luftwaffe warteten.« Doch dann »ein atemberaubend schöner Sonnenaufgang irgendwo vor der spanischen Küste, und unter uns das Meer, das immer blauer strahlt«.
    Hoek sah auf die Uhr. »Das Essen müsste jeden Moment kommen«, sagte er. »Ich habe mir erlaubt, für Sie zu wählen – ich hoffe, das ist Ihnen recht, es ist besser, ihnen Zeit zu lassen.« Offensichtlich eine gute Idee, sie konnten gerne eine Weile warten, indes das Tischgespräch zwanglos hin und her wanderte. Man musste schon Holländer sein, dachte De Haan, um zu erkennen, dass der Gin bereits Wirkung zeigte. Äußerlich war ihnen nicht viel anzumerken, alle waren ruhig und bedacht, hörten aufmerksam zu und hatten es nicht eilig, das Wort zu ergreifen. Immerhin waren sie sich größtenteils fremd und verbrachten nur einen Abend miteinander in einer Stadt in einem anderen Land, so dass sie nicht viel mehr verband als die Zugehörigkeit zu einer eroberten Nation und die damit einhergehende stille Wut von Menschen, die nicht nach Hause können.
    »Bin seit Jahren nicht mehr daheim gewesen«, sagte Hoek zu Terhoven. »Hat mich, warten Sie, 1927 hierher verschlagen. Auf der Suche nach Geschäften.« Ein unausgesprochenes Natürlich klang am Ende seines Satzes nach – Holland war eine Handelsnation, die seit Jahrhunderten die ganze Welt als ihr Büro benutzte, und so waren Geschäfte in exotischer Ferne eine Selbstverständlichkeit. »Und ich konnte eine kleine Maklerfirma für Erze und Mineralien kaufen, die ich über die Jahre weiter ausgebaut habe. Im Süden bauen sie Blei und Eisenerz ab, und dann gibt es noch Kobalt, Antimon und Asbest. Neben den Phosphaten, versteht sich. Das ist der Grundstock.«
    De Haan wusste von den Phosphaten, Marokkos wichtigstem Exportgut. Wie es der Zufall wollte, würde die Noordendam als Nächstes Safi anlaufen, Marrakeschs Hafen an der Atlantikküste, um Schüttgut aus den Khouribga-Minen zu laden. Und so passte es eigentlich ins Bild, dachte De Haan, dass sein Arbeitgeber sein Leben riskierte und aus seinem Londoner Exil hergeflogen kam, um mit einer Flasche holländischem Gin das Beladen eines seiner Frachtschiffe zu feiern. Wie auch immer, es wird sich alles noch früh genug aufklären. Im Grunde konnte er sich schon ganz gut vorstellen, was das Ganze sollte, er war nur darauf erpicht,
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