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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs
Autoren: Alan Furst
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die Einzelheiten zu hören.
    »Dann haben Sie also Ihre Familie mitgebracht«, sagte Terhoven.
    »Oh ja«, sagte Hoek. »Und eine ziemlich große obendrein.«
    De Haan meinte, in Wilhelms Augen eine gewisse Erheiterung auszumachen, ein nur eben zu erahnendes Lächeln.
    Terhoven fragte sie aus Höflichkeit, wie lange sie schon in Tanger sei.
    »Hm, noch nicht so lange, ein paar Jahre vielleicht, alles in allem. Nach dem Krieg hab ich in Paris gelebt und im Sommer in Juan-les-Pins, danach hier, dann wieder in Paris, eine Weile in Istanbul und wieder hier.«
    »Eine rastlose Seele.« Terhoven kannte diesen Typ.
    Sie zuckte die Achseln. »Neue Lichtverhältnisse. Und neue Leute vermutlich.«
    »Sie sind Künstlerin«, sagte Terhoven, und es war nicht direkt als Vorwurf gemeint.
    »Ich tu, was ich kann.«
    »Und sie kann«, sagte Hoek energisch. »Sie hat schon in Paris und New York ausgestellt, auch wenn sie Ihnen das verschweigt.«
    »In Öl?«, fragte De Haan und meinte natürlich, doch nicht etwa in Öl.
    »Nein, Gouache zumeist, obwohl ich in letzter Zeit auch wieder auf Kohlezeichnungen zurückgegriffen habe.« Sie nahm eine Zigarette aus einem Schildpatt-Etui mit Bacchus und Gespielin auf dem Deckel, tippte zwei Mal darauf und zündete sie mit einem Stahlfeuerzeug an. »Ich zeichne wieder Modell.« Sie schüttelte den Kopf und lächelte verschämt darüber, dass es zu dieser Merkwürdigkeit kommen konnte.
    Deutliches Klopfen an der Tür und drei Kellner mit Tabletts.
    Das Abendessen wurde in traditionellen flachen Schüsseln auf dem niedrigen Tisch serviert. Schüsseln mit duftender, gelber Suppe, weiches, ofenheißes Brot, eine großartige Pastilla  – gehackte Täubchenbrust mit Mandeln in Blätterteig, eine Platte gebratenes Lammfleisch und Gemüse. Kaum waren die Gerichte serviert, wurden die zerdrückten Minzblätter in den Gläsern mit kochendem Wasser aufgebrüht, das der Oberkellner in einem vorgeschriebenen Ritual einschenkte, indem er den Schnabel einer Silberkanne hob und senkte und den Strahl im Bogen in die Gefäße laufen ließ. Als er fertig war, fragte er: »Sollen wir bleiben und Sie bedienen?«
    »Danke«, sagte Hoek, »aber ich denke, wir kommen zurecht.«
    Er sagte es auf Französisch, was De Haan – manchmal zumindest und auf seine Weise – verstand und auch sprach, »das Französisch eines wilden Tiers«, nach Ansicht von Arlette. Wie fast jeder in Holland sprach er gut Deutsch und Englisch, und vor einem Jahr hatte er seine Bibliothek aus vierzig Büchern um eine russische Grammatik bereichert. Dafür gab es keinen beruflichen oder politischen Grund; es hatte eher etwas von Schach oder Kreuzworträtseln, eine Beschäftigung in den langen dienstfreien Stunden, in denen er sich von der ewigen Obsession eines Kapitäns ablenken musste: jedem Klopfgeräusch der Maschinen, jedem Zittern und Knarren des Schiffs, seines Schiffs, auf See. Und so hatte er eine wenn auch schwierige Freizeitbeschäftigung gefunden, in die er sich vertiefen konnte, auch wenn er sie nicht immer nur studiert hatte, sondern schon gelegentlich darüber eingeschlafen war und sie mit Asche, Meerwasser, Kaffee und Kakao überschüttet hatte, was sie als russisches Buch ertragen und überdauert hatte.
    »Wie war's in Paramaribo?«, fragte Terhoven, der neben ihm saß. Er riss sich einen Streifen Brot ab, nahm ein Stück Lamm von der Platte, betrachtete es nachdenklich, bevor er es durch die Soße zog und auf seinem Brot platzierte.
    »Es ist Regenzeit – ein Dampfbad, wenn sie zu Ende ist.« Sie hatten eine Ladung Grünharz- und Moraholz, das für Werften und Docks Verwendung fand, von Niederländisch Guayana zum spanischen Hafen La Coruña gebracht und waren dann in Ballast – neben etwas Alteisen vor allem Wasser – nach Tanger weitergefahren.
    »Jemanden verloren?«
    »Nur einen Mann, einen Schmierer. Finne, seinem Heuerbuch nach jedenfalls. Guter Schmierer, aber schrecklicher Säufer. Hat Leute verprügelt – darin war er auch ziemlich gut. Hab versucht, ihn aus dem Gefängnis freizukaufen, aber die ließen nicht mit sich handeln.«
    »In Paramaribo? Die wollten kein Bestechungsgeld nehmen?«
    »Er hat einen Zuhälter, einen Barkeeper, einen Rausschmeißer, einen Polizisten und einen Gefängniswärter verdroschen.«
    »Du liebe Güte!« Dann schmunzelte Terhoven. »In dieser Reihenfolge?«
    De Haan nickte.
    Terhoven aß sein Lammbrot auf, wischte sich den Mund und verzog das Gesicht. »Manche Leute sind zu
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