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Die Stimmeninsel

Titel: Die Stimmeninsel
Autoren: Robert Louis Stevenson
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scheint, daß diese Teufel kamen, um sich die Blätter davon zu holen. So schlugen denn die Leute auf der Insel diesen Baum nieder, wo sie ihn fanden, und die Teufel kamen nicht mehr.«
    Sie fragten, was für eine Art von Baum das gewesen sei, und er zeigte ihnen den Baum, von dem Kalamake die Blätter verbrannt hatte. Sie fanden es kaum glaublich; trotzdem beschäftigte der Gedanke sie. Nacht für Nacht disputierten die alten Männer darüber bei ihren Ratsversammlungen; aber der Oberhäuptling – obgleich er ein tapferer Mann war – hatte Angst vor der Sache und erinnerte sie täglich an den Häuptling, der einen Speer in Richtung der Stimmen geschleudert hätte und getötet worden wäre; und der Gedanke an dieses Ereignis brachte alles wieder zum Stillstand.
    Obgleich es ihm nun nicht gelang, das Niederhauen der Bäume zu veranlassen, fühlte Keola sich doch recht wohl und begann sich umzuschauen und sich seiner Tage zu freuen; er war auch um so freundlicher zu seiner Frau, so daß diese ihn sehr zu lieben begann. Eines Tages kam er in die Hütte, da lag sie jammernd auf dem Fußboden.
    »Nun?« fragte Keola. »Was fehlt dir denn jetzt?«
    Sie erklärte, es sei nichts.
    In derselben Nacht weckte sie ihn auf. Die Lampe brannte sehr trübe, aber er sah an ihrem Gesicht, daß sie bekümmert war.
    »Keola«, sagte sie, »lege dein Ohr an meinen Mund, damit ich flüstern kann; denn kein Mensch darf uns hören! Zwei Tage bevor die Boote wieder segelfertig gemacht werden, mußt du nach der Ozeanseite der Insel gehen und dich in einem Dickicht verbergen. Wir beide, du und ich, wollen den Platz vorher aussuchen und Nahrung dort verbergen; und jede Nacht werde ich singend in der Nähe vorübergehen. Wenn also eine Nacht kommt und du mich nicht hörst, so wirst du wissen, daß wir von der Insel abgefahren sind und daß du ohne Gefahr wieder herauskommen kannst.«
    Keolas Seele starb in ihm, und er rief:
    »Was heißt dies? Ich kann nicht unter Teufeln leben. Ich will nicht auf dieser Insel zurückgelassen werden. Ich sehne mich, sie zu verlassen.«
    »Du wirst sie niemals lebend verlassen, mein armer Keola«, sagte das Mädchen, »denn, um dir die Wahrheit zu sagen, meine Leute sind Menschenfresser; aber sie halten dies geheim. Und aus folgendem Grunde werden sie dich töten, bevor sie abreisen: Zu unserer Insel kommen Schiffe, und Donat-Kimaran kommt und predigt für die Franzosen, und es ist ein weißer Händler dort in einem Hause mit einer Veranda und auch ein Katechist. Oh, das ist wirklich ein schöner Ort! Der Händler hat Fässer voll Mehl, und ein französisches Kriegsschiff kam einmal in die Lagune und gab einem jeden Wein und Zwieback. Ach, mein armer Keola, ich wollte, ich könnte dich dorthin mitnehmen, denn groß ist meine Liebe zu dir, und es ist der schönste Ort in der ganzen Südsee mit Ausnahme von Papeete.«
    So war nun Keola der erschreckteste Mann der vier Ozeane. Er hatte von Menschenfressern erzählen hören, die auf den südlichen Inseln lebten, und hatte immer Angst davor gehabt; und hier klopfte nun die Gefahr an seine Tür. Außerdem hatte er durch Reisende von den Gebräuchen dieser Menschenfresser gehört: wie sie einen, den sie zu essen gedenken, verzärteln und verwöhnen wie eine Mutter ihr Lieblingskind. Und er sah, daß es auch in seinem Fall so gewesen wäre: daß sie ihm darum Haus und Nahrung und Weib gegeben und ihn von aller Arbeit befreit hatten und daß darum die alten Männer und die Häuptlinge mit ihm diskutiert hatten wie mit einer bedeutenden Person. Und so lag er auf seinem Bett und verfluchte sein Geschick; und sein Fleisch zog sich ihm über den Knochen zusammen.
    Am nächsten Tage waren die Leute des Stammes sehr höflich, wie es ihre Art war. Sie waren elegante Sprecher, machten schöne Gedichte und bei den Mahlzeiten Witze, so daß ein Missionar sich hätte totlachen mögen. Wenig genug machte sich Keola aus ihrem feinen Benehmen; er sah weiter nichts als die glänzenden weißen Zähne in ihrem Mund, und das Herz drehte sich ihm dabei um; und als sie gegessen hatten, ging er in den Busch und lag dort wie ein Toter.
    Am nächsten Tage war es ebenso; aber da ging seine Frau ihm nach und sagte zu ihm:
    »Keola! Wenn du mehr issest, so sage ich dir allen Ernstes: Dann wirst du morgen geschlachtet und gebraten werden. Einige von den alten Häuptlingen murren bereits. Sie denken, du seiest krank geworden und müssest Fleisch verlieren.«
    Da sprang Keola auf seine Füße,
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