Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stimmeninsel

Titel: Die Stimmeninsel
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
Ärger brannte in ihm, und er sagte:
    »Ich mache mir wenig daraus, ob ich auf die eine Weise umkomme oder auf die andere! Ich bin zwischen dem Teufel und der tiefen See. Da ich doch einmal sterben muß, so laß mich so schnell wie möglich sterben, und da ich im besten Fall gefressen werden muß, so laß' ich mich lieber von Gespenstern fressen als von Menschen. Lebe wohl!« sagte er, ließ sie stehen und ging nach der Ozeanseite der Insel hinüber.
    Der Strand lag ganz nackt in der heißen Sonne; kein Mensch war zu sehen, aber auf dem Strande bewegte es sich; und rund um ihn herum, wie er so ging, redeten die Stimmen und flüsterten, und die Feuerchen flackerten auf und brannten nieder. Alle Sprachen der Erde wurden dort gesprochen: französisch, holländisch, russisch, tamilisch, chinesisch. Aus jedem Lande, wo Zauberei bekannt ist, waren einige Menschen da und flüsterten in Keolas Ohr. Der Strand wimmelte von Menschen wie ein Jahrmarkt, aber kein einziger war zu sehen; und wie er so dahinschritt, sah er die Muscheln vor ihm verschwinden, aber keinen Menschen, der sie auflas. Ich glaube, der Teufel selber hätte Angst gehabt, in solch einer Gesellschaft allein zu sein; aber Keola war über alle Furcht hinaus und freite um den Tod. Wenn die Feuer aufflackerten, rannte er auf sie los wie ein Stier. Körperlose Stimmen riefen einander zu; unsichtbare Hände warfen Sand auf die Flammen; und sie waren vom Strande verschwunden, bevor er sie erreichte.
    »Es ist klar, Kalamake ist nicht hier«, dachte er, »sonst wäre ich schon längst getötet worden.«
    Damit setzte er sich am Waldsaum nieder – denn er war müde – und stützte das Kinn auf seine Hände. Das Treiben vor seinen Augen dauerte an: Der Strand schwirrte von schwatzenden Stimmen, die Feuer flammten auf und sanken zusammen, und die Muscheln verschwanden und wurden wieder erneuert, während er noch hinsah.
    »Als ich das vorige Mal hier war, war es ein stiller Tag«, dachte er; »denn es war gar nichts im Vergleich zu heute.«
    Und sein Kopf schwindelte ihm bei dem Gedanken an die Millionen und aber Millionen von Dollars, und an alle diese Hunderte und aber Hunderte von Menschen, die sie am Strand auflasen, und die durch die Lüfte flogen, höher und schneller als Adler.
    »Wenn ich dran denke, wie sie mich mit ihrem Gerede von Münzen genarrt haben«, sagte er vor sich hin, »daß in diesen Münzen Geld geschlagen würde, während es doch klar ist, daß alle neuen Geldstücke in der ganzen Welt auf diesem Sand gesammelt werden. Aber das nächste Mal werde ich besser Bescheid wissen! Dann lasse ich mir nicht wieder etwas vorlügen!«
    Und zuletzt – er wußte nicht recht, wie es kam oder wann es war – fiel Schlaf auf Keola, und er vergaß die Insel und alle seine Sorgen.
    In der Frühe des nächsten Tages, bevor noch die Sonne aufgegangen war, weckte ihn ein Geräusch. Ängstlich fuhr er auf, denn er dachte, der Stamm hätte ihn im Schlaf überrascht; aber es war nicht so. Nur auf dem Strande gerade vor ihm riefen die körperlosen Stimmen einander zu, und es schien, wie wenn sie alle die Küste hinauf an ihm vorbeiliefen und –schwebten.
    »Was ist denn nun los?« dachte Keola. Und es war ihm klar, daß es sich um etwas Außergewöhnliches handelte, denn es wurden keine Feuer angezündet und keine Muscheln genommen, aber die körperlosen Stimmen riefen fortwährend auf dem Strande, bis sie in der Ferne erstarben; dann folgten andere, und mit diesen war es ebenso; nach dem Klang der Stimmen mußten diese Zauberer zornig sein.
    »Jedenfalls sind sie nicht auf mich zornig«, dachte Keola, »denn sie laufen dicht an mir vorbei.«
    Wie wenn Hunde auf der Straße laufen oder Pferde bei einem Wettrennen oder in einer Stadt die Menschen, wenn ein Feuer ausgebrochen ist und alle nach der Brandstätte rennen – so war es jetzt mit Keola; und er wußte nicht, was er tat, noch warum er es tat – aber siehe da! auf einmal rannte er mit den Stimmen.
    So kam er um eine Spitze der Insel und sah eine zweite Landspitze vor sich; und er erinnerte sich, daß dort die Zauberbäume dutzendweise in einem Walde beisammengestanden hatten. Von dieser Stelle aus erscholl ein Getöse von Menschen, die auf eine ganz unbeschreibliche Art schrien; und von diesen Tönen geleitet, rannten die Stimmen, mit denen Keola zusammenlief, nach derselben Stelle. Als er ein bißchen näher kam, begann sich in das Geschrei das Krachen vieler Äxte zu mischen. Und da kam ihm plötzlich der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher