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Die Stimmeninsel

Titel: Die Stimmeninsel
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Wolke; und an der Stellung dieser drei Sterne da oben erkenne ich, daß ich an dem gewünschten Ort angelangt bin. Dieser Teil der See wird die Totensee genannt. Das Meer ist an dieser Stelle außerordentlich tief, der ganze Grund ist mit menschlichen Gebeinen bedeckt, und in den Höhlen am Grunde haben Götter und Spukgeister ihre Wohnungen. Die Meeresströmung geht nördlich – stärker, als ein Haifisch schwimmen kann, und jeden Menschen, der hier über Bord fällt, reißt sie weg wie ein wildes Pferd und treibt ihn weit, weit in den Ozean hinaus. Auf einmal ist er erschöpft und geht unter, und seine Gebeine werden zu den übrigen verstreut, und seine Seele fressen die Götter.«
    Furcht kam über Keola bei diesen Worten, und er sah um sich, und im Licht der Sterne und der Laterne schien der Hexerich sich zu verändern.
    »Was fehlt dir?« schrie Keola, schnell und scharf.
    »Mir fehlt nichts«, sagte der Zauberer, »aber hier ist einer, der ist sehr krank.«
    Mit diesen Worten ließ er seine Laterne los, und siehe da! Als er seinen Finger aus dem Ring ziehen wollte, da blieb der Finger stecken, aber der Ring barst auseinander, und seine Hand war so groß geworden wie drei Hände.
    Bei diesem Anblick kreischte Keola auf und bedeckte sein Gesicht.
    Kalamake aber hielt die Laterne hoch und sagte:
    »Sieh lieber mein Gesicht an!«
    Und sein Kopf war so groß wie ein Faß; und immer noch wuchs er und wuchs, wie eine Wolke wächst an einem Berg, und Keola saß vor ihm und kreischte, und das Boot flog durch die hohen Wogen.
    »Und nun«, sagte der Zauberer, »wie denkst du über das Hackbrett? Bist du auch sicher, daß du nicht lieber eine Flöte haben möchtest? Nein? Na, das ist gut; denn ich mag es nicht, wenn meine Verwandten wankelmütig in ihren Vorsätzen sind. Aber ich beginne zu denken, daß es wohl besser ist, ich verlasse diesen zerbrechlichen Kahn, denn mein Körper schwillt ganz ungewöhnlich groß an, und wenn wir nicht besser aufpassen, wird das Boot gleich sinken.«
    Damit schwang er seine Beine über Bord. Und in dem Augenblicke, wie er das tat, wurde seine Größe dreißigfach oder vierzigfach, und zwar so schnell, wie ein Mensch sehen oder denken kann. So stand er bis zu den Achselhöhlen in der tiefen See, und sein Haupt und seine Schultern ragten wie eine hohe Insel empor; die Wogen schlugen gegen seine Brust und brachen sich daran wie Brandung gegen ein Kliff. Das Boot lief immer noch gen Norden; er aber streckte seine Hand aus, nahm das Dollbord zwischen Daumen und Zeigefinger und brach die Planke entzwei wie einen Zwieback, und Keola wrde in die See gekippt. Und die Stücke des Bootes zerdrückte der Zauberer in der hohlen Hand und schleuderte sie meilenweit in die Nacht hinein. Und dann sagte er:
    »Entschuldige mich, daß ich die Laterne mitnehme; denn ich habe noch weit zu waten, das Land ist fern und der Boden der See uneben, und ich fühle die Knochen unter meinen Zehen.«
    Und er wandte sich und ging davon, mit großen Schritten stapfend; und sooft Keola in eine Wellentiefe sank, konnte er ihn nicht mehr sehen; aber sooft er auf einen Wogenkamm gehoben wurde, war Kalamake da, weit ausschreitend und allmählich verschwindend; er hielt die Laterne hoch über seinen Kopf, und die Wellen brachen sich mit weißem Schaum an ihm, wie er so dahinschritt.
    Seitdem die Inseln zuerst aus dem Meer aufgetaucht waren, hatte niemals ein Mensch solche Angst gehabt wie Keola. Er schwamm allerdings, aber er schwamm, wie junge Hunde paddeln, wenn man sie ins Wasser wirft, um sie zu ertränken, und er wußte nicht, wohin er schwimmen sollte. Er konnte nur immer daran denken, wie gewaltig groß der Hexerich angeschwollen war: an dies Gesicht, das so groß war wie ein Berg, an diese Schultern, die breit waren wie eine Insel, an die Wogen, die vergeblich gegen sie anprallten. Er dachte auch an das Hackbrett und schämte sich; und er dachte an die Totengerippe, und Angst packte ihn.
    Plötzlich bemerkte er im Sternenlicht etwas Dunkles, das sich hin und her bewegte, und darunter ein Licht und einen hellen Schein auf den Wellen des Meeres, und er hörte Menschen sprechen. Da rief er laut, und eine Stimme antwortete; und in einem Nu schwebte der Bug eines Schiffes über ihm auf einer Welle und fuhr dann in die Tiefe. Er griff mit beiden Händen in die Ketten des Schiffes, und im nächsten Augenblick wurde er in die rauschende See gerissen und im übernächsten von Matrosen an Bord gehißt.
    Sie gaben ihm Gin und
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