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Die Stimmeninsel

Titel: Die Stimmeninsel
Autoren: Robert Louis Stevenson
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sah nach rechts und nach links, und ihre Lippen öffneten sich in dem Entsetzen ihrer Seele. Aber seltsam war es, daß ihre Augen nicht auf Keola ruhten.
    »Guten Tag«, sagte dieser. »Du brauchst nicht so erschrocken zu sein; ich werde dich nicht aufessen.«
    Aber kaum hatte er den Mund aufgetan, so floh das junge Weib in den Busch.
    »Das sind sonderbare Manieren«, dachte Keola. Und ohne weiter zu überlegen, was er tat, rannte er ihr nach.
    Im Laufen schrie das Mädchen fortwährend in einer Sprache, die auf Hawaii nicht gesprochen wurde; indessen waren einige von den Worten die gleichen, und er verstand soviel, daß sie andere Menschen rief und warnte. Und plötzlich sah er noch mehr Menschen laufen – Männer, Weiber und Kinder, alle in einem Haufen, rennend und schreiend wie Leute, wenn ein Feuer ausgebrochen ist. Da begann er selber Angst zu bekommen und kehrte zu Kalamake zurück und brachte ihm die Blätter. Ihm erzählte er, was er gesehen hätte.
    »Du mußt darauf nicht achten«, sagte Kalamake. »All dies ist wie Traum und Schatten. Alles wird verschwinden und vergessen sein.«
    »Es schien, als ob mich niemand sähe«, sagte Keola.
    »Es sah dich auch keiner«, antwortete der Zauberer. »Wir gehen hier in der hellen Sonne unsichtbar, dank diesen Zaubermitteln. Aber sie hören uns; und deshalb ist es geraten, leise zu sprechen, wie ich es tue.«
    Unterdessen machte er aus Steinen einen Kreis, und in die Mitte legte er die Blätter. Dann sagte er:
    »Es wird deine Aufgabe sein, die Blätter in Brand zu halten und das Feuer langsam zu nähren. Während die Flamme brennt – was nur einen kleinen Augenblick dauert –, muß ich meine Sache tun; und bevor die Asche schwarz wird, bringt dieselbe Macht, die uns hierherführte, uns wieder heim. Halte dich bereit mit dem Streichholz; und rufe mich zur rechten Zeit, damit nicht das Feuer ausbrennt und ich hier zurückbleibe.«
    Sobald die Blätter Feuer fingen, sprang der Hexerich wie ein Hirsch aus dem Kreis heraus und begann den Strand entlangzurennen wie ein Hund, der sich gebadet hat. Beim Laufen bückte er sich fortwährend, um Muscheln aufzuheben; und es kam Keola so vor, wie wenn sie glänzten, als er sie anfaßte. Die Blätter brannten mit einer lichten Flamme, die sie schnell verzehrte; plötzlich hatte Keola nur noch eine Handvoll übrig, und der Zauberer war weit weg, rannte und bückte sich.
    »Zurück!« schrie Keola. »Zurück! Die Blätter sind beinahe alle!«
    Daraufhin kehrte Kalamake um, und war er vorher gerannt, so flog er jetzt. Aber so schnell er auch lief, die Blätter verbrannten schneller. Die Flamme wollte gerade erlöschen, als er mit einem letzten großen Satz auf die Matte sprang. Der Luftzug bei seinem Sprung blies das Feuer aus, und in demselben Augenblick waren Strand, Sonne und See verschwunden, und sie standen wieder in der Dämmerung des Wohnzimmers mit den geschlossenen Läden, wieder rüttelte es ihren Leib, und ihre Augen waren wie geblendet; auf der Matte zwischen ihnen lag ein Haufen blanker Dollars. Keola rannte an ein Fenster und riß die Läden auf: Da fuhr der Dampfer mit der Dünung in die Bucht herein.
    An demselben Abend nahm Kalamake seinen Schwiegersohn beiseite, drückte ihm fünf Dollar in die Hand und sagte:
    »Keola, wenn du klug bist – woran ich allerdings zweifle –, wirst du denken, du habest heute nachmittag auf der Veranda geschlafen und im Schlaf einen Traum gehabt. Ich bin ein Mann von wenig Worten und habe zu Helfern Leute, die ein kurzes Gedächtnis haben.«
    Kein Wort mehr sagte Kalamake; niemals sprach er wieder von der Geschichte. Aber Keola ging sie fortwährend durch den Kopf. War er früher faul gewesen, so tat er jetzt überhaupt nichts mehr.
    »Warum sollte ich arbeiten«, dachte er, »wenn ich einen Schwiegervater habe, der Dollars aus Seemuscheln macht?«
    Im Nu war sein Anteil ausgegeben. Er gab alles für schöne Kleider aus. Und dann reute es ihn, und er dachte:
    »Ich hätte besser getan, mir ein Hackbrett zu kaufen, darauf hätte ich den ganzen Tag Musik machen und mich so unterhalten können.«
    Und dann begann er ärgerlich auf Kalamake zu werden.
    »Der Mann hat eine Hundeseele«, dachte er, »der kann, sooft er Lust hat, Dollars am Strande sammeln, und mich läßt er nach einem Hackbrett schmachten! Er soll sich in acht nehmen! Ich bin kein kleines Kind, ich bin so schlau wie er und ich weiß sein Geheimnis!«
    Und er sprach mit seinem Weibe Lehua und beklagte sich über ihres
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