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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Autoren: Jaroslav Rudis
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Und gleichzeitig volle Power. Auf Carlos’ Stoff kann man sich verlassen. Aber vorher müsste sie sich Knete besorgen.
    Sie zieht sich das T-Shirt und die Unterhose an. Dann schlüpft sie in ihre leicht abgetretenen, knöchelhohen roten Chucks. Sie erkundet Petrs Wohnung. Nachts ist sie ihr kleiner vorgekommen. Zwei Zimmer und eine Küche. Winziger Flur. Er habe die Wohnung von seiner Oma geerbt, hat er gesagt, einer alten Kommunistin. Marx und Lenin im Bücherschrank seien Überbleibsel von ihr. Und die löchrige Schürze in der Küche. Ob er sie beim Kochen benutzt? Dann wäre er nicht nur ein bisschen komisch, sondern richtig durchgedreht.
    Vanda sieht sich seine CD-Sammlung an. Lauter vorsintflutliches Zeug. Sex Pistols. The Clash. New Order. The Cure. Gott, oh Gott. Simple Minds . Das ist die Hölle. Und auch noch The Best of Queen . Vanda läuft es kalt den Rücken herunter. Das hängt aber vielleicht auch damit zusammen, dass ihr Vater total auf Queen steht.

SEE YOU SOMEWHERE, SOMEHOW
    E in paar Schritte vor ihr auf der Rolltreppe. Das ist er. Vertieft in eine Zeitung steigt er langsam die Stufen hoch. Sie erkennt seine grauen Schläfen. Und seine Brille. Hana hängt sich ihm an die Fersen.
    Er kauft Zigaretten. Ein Parfüm. Cinéma von Yves Saint Laurent. Klar, sie haben zwar nicht darüber gesprochen, aber natürlich ist er nicht allein. Sie lebt ja auch mit jemandem zusammen. Vielleicht ist es deswegen gestern so gut gewesen. Für einen Sekundenbruchteil ist sie eifersüchtig, sie kann fast beobachten, wie das Gefühl sie beschleicht. Eifersüchtig auf all die kleinen Tode, die seine Frau mit ihm erlebt hat. La petite mort. Er hatte ihr ja gezeigt, was das hieß.
    Sie würde ihn an der Kasse abfangen. Ihn überraschen.
    Sie tut es.
    Verwechslung. Er ist es nicht. Sondern ein etwas älterer Zwilling von ihm. Ja, alle EU -Beamten sehen sich ähnlich. Letzte Woche haben sie doch genau darüber im Büro gelacht. Alle EU -Beamten, Taxifahrer und Pizzaverkäufer.
    Hana wird rot. Dann muss sie lachen. Er auch. Sie entschuldigt sich.
    Langsam schlendert sie zu ihrem Gate.
    Kurz bevor sie ins Flugzeug steigen muss, meldet ihr Handy eine SMS : See you somewhere, somehow. Thomas, la petite mort.
    Gerne.
    Sie lacht, drückt auf die Antworttaste und schreibt: See you in Lisboa. Dann hält sie inne und löscht den Text. Schaltet ihr Handy aus, verstaut es in der Handtasche und grüßt die Stewardess. Sie nimmt eine Zeitung und setzt sich.
    Der Start.
    Die Motoren heulen auf und das Flugzeug rast auf das Ende der Startbahn zu. Es löst sich vom Boden, steigt in die Höhe, genauso wie Hanas Eingeweide. Vielleicht sind sie gar nicht festgemacht da drinnen, denkt Hana, sie schwimmen in ihrem Körper hin und her wie in einem Meer. Hana wird nicht übel, im Gegenteil, dieses Gefühl gibt ihr geradezu einen Kick. Endorphine. Adrenalin. Das alles wird in ihr Blut ausgeschüttet.
    Das Flugzeug taucht hoch über der Stadt auf. Unter ihnen der Ozean. Hana sieht auf den Hafen herunter, auf die braunen Wassermassen des Tejo, die sich in den Atlantik ergießen, auf die irre lange Brücke mit den vielen kleinen, langsam vorankriechenden Spielzeugautos.
    Das Flugzeug fliegt einen Bogen und nimmt Kurs auf Europas Mitte. Das Piktogramm Bitte anschnallen verschwindet. Die Motoren brummen monoton. Das wird noch ungefähr drei Stunden so bleiben. Hana mag dieses Geräusch nicht, vielleicht gerade wegen seiner Monotonie.
    Sie holt ein Buch und ihren iPod aus der Handtasche. Madredeus . Sehr langsam, sehr melancholisch, sehr portugiesisch.
    Os teus olhos são vitrais
    Que mudam de cor com o céu
    Auf dem Hinflug hat Hana in ihrem Wörterbuch entdeckt, dass vitrais Fenster heißt und céu Himmel. Und wie so oft in ihrem Leben denkt sie auch jetzt, dass das Lied sich mit ihren Empfindungen zu decken scheint. Als seien die Musik und ihre Erlebnisse ein und dasselbe. Wegen diesem Gefühl wäre sie gerne Komponistin. Aber sie kann nicht einmal ein Instrument spielen, die schrammelige Gitarrenbegleitung zu zwei Lagerfeuerliedern nicht mit eingerechnet, die sich allerdings auch nur geringfügig mit ihrem Leben überschneiden.
    Hana blickt in das unendliche Blau des Himmels. Dahinter gibt es bestimmt noch etwas anderes, denkt sie. Hinter diesem Himmel. Hinter diesem Lied.
    E quando sorriem, iguais
    Quem muda de cor sou eu
    Sie versucht, sich in die Lektüre von Pessoas Buch der Unruhe zu vertiefen, aber wie schon viele Male zuvor will es ihr auch
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