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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Autoren: Jaroslav Rudis
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Nächte um die Ohren.
    Damals lief alles wie am Schnürchen. Das ganze Land schäumte über vor Energie. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre dachten alle, die Revolution würde nie zu Ende gehen, sie sei eine riesige Rockparty. An den verkaterten Morgen danach dachte damals keiner.
    Sie nannten ihren Club Peach Factory . Der Name war Waynes Idee. Damals tanzte er zu Dirty Pictures . Rauchte Gras. Und konnte drei Nächte hintereinander durchmachen. Der Laden brummte. Damals wollten sich alle nur amüsieren.
    Schließlich mussten sie aber schließen, weil sich die Nachbarn über den Lärm beschwerten. Die Revolution war vorbei. Und plötzlich stellte sich auch der Kater ein. Auf einmal sehnten sich alle nur nach einem stinkgewöhnlichen Leben mit Pay- TV , zerknitterter Werbung im Briefkasten und maßgeschneidertem Billigurlaub in Italien. Sie wollten endlich ihren angestammten Platz in der Mitte Europas einnehmen.
    Auch Wayne versuchte aufs Neue, seinen Platz im Erwachsenendasein einzunehmen. Anders als viele seiner Bekannten, die auf Biegen und Brechen nicht älter werden wollten und das romantische und billige Prag gegen ein noch romantischeres und vor allem noch billigeres Sofia – oder war es Bukarest? – eintauschten, wurde Wayne ein paar Jahre und Beziehungen später tatsächlich erwachsen. Ein Freund von ihm, Dave, wollte sich selbständig machen und schlug Wayne vor, gemeinsam eine Consulting-Firma zu gründen. Gemeinsames Geld. Gemeinsame Klienten. Gemeinsamer Gewinn.
    Aus dem Rockclub wurde wieder ein Obst- und Gemüselager. Neulich sah Wayne im Vorbeifahren, wie dort kleine flinke Vietnamesen Lieferwagen mit Bananen und Tomaten beluden, um sie in der Stadt zu verteilen.
    Der Kreis hatte sich geschlossen und Wayne stand wieder draußen.
    Schläft er heute weniger als sieben Stunden, wird er nervös. Wenn es am Wochenende aber mal mehr als neun Stunden Schlaf werden, bekommt er Kopfschmerzen. Ist es in einer Kneipe oder einem Club zu laut, hält er es nicht lange dort aus. Ist das ein Zeichen von Erwachsensein? Oder heißt es nur, dass er alt geworden ist? Die Kleine meint, er sei ein Hypochonder. Ein älter werdender Typ mit grauen Schläfen. Aus dem eines Tages ein grantiger Greis werden wird. Vielleicht stimmt das auch.
    Gegen Mittag wird er sie vom Büro aus anrufen. Abends sieht er sie dann endlich wieder. Darauf freut er sich jetzt schon.

NACKT
    S ie setzt sich aufs Klo und steckt sich eine an. Immer noch ist sie nackt. Sie ascht in die Schüssel, vorsichtig, damit die brennende Zigarette ihre Beine nicht streift. Wenn ihre Eltern nicht da sind, sitzt sie morgens immer rauchend auf dem Klo. In letzter Zeit lässt sich Vater sowieso kaum noch zu Hause blicken, und Mutter steht erst gegen Mittag mit furchtbaren Kopfschmerzen auf, die sie mit Bergen von Tabletten zu verjagen versucht. Da kann Vanda ruhig ganze Vormittage auf der Toilette verbringen. Sie liebt das. Dort zu sitzen und zu rauchen. Zeitschriften zu lesen. Ganz alleine in einem kleinen verqualmten Raum zu hocken.
    Sie raucht und sieht sich die uralten Poster an der Wand an.
    The Cure ? Wo hat er das denn ausgegraben?
    Auf dem Fußboden liegt eine Zeitschrift. Sie hebt sie auf. Etwas über die Geschichte der Seefahrt und über Entdeckungen in Übersee. Was Prähistorisches halt. Der Typ scheint echt alt zu sein. Ein seltsamer Kauz. Tickt nicht richtig. Aber er hat ihr geholfen. Und er hat ihr gefallen. Außerdem hat er es ihr gut besorgt. Was sie ihm allerdings nie offen sagen würde. Sie hat noch nie offen sagen können, dass sie etwas gut fand oder dass sie sich über etwas gefreut hat. Das kann sie nur vor sich selbst zugeben.
    In der Küche schenkt sie sich ein Glas Leitungswasser ein und stellt sich ans Fenster. Sie betrachtet die Pflanze. Von dem vielen Koffein, mit dem sie jeden Morgen beglückt wird, müsste sie krank sein, die Blume sieht aber zufrieden aus. Vielleicht fährt sie auf Koffein ab. Genauso wie Vanda auf Koks.
    Sie sieht in den Himmel, beobachtet, wie sich die weißen Kondensstreifen um den Fernsehturm schlängeln.
    Der Anblick ruft in ihr das Verlangen nach einem anderen weißen Streifen hervor. Vanda hat sich zwar geschworen, mit achtzehn mit dem Koksen aufzuhören. Aber bis zu ihrem Geburtstag ist es noch ein Monat. Und ein Monat ist eine gefährlich lange Zeit.
    Nachmittags würde sie Carlos anrufen und fragen, ob er ihr was bringen kann, denkt sie. Gute Stimmung beim Konzert würde nicht schaden. Innere Ruhe.
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