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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Autoren: Jaroslav Rudis
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Anfahrt. In einer Stunde wird sein Tag viel zu schnell sein. Erst am Abend im Fitnessstudio kommt er zum Stehen. Wayne denkt an seinen Bruder, der ihn im letzten Jahr in Prag besuchte. Er blieb zwar eine ganze Woche, Wayne hat ihn aber kaum gesehen. Clubs, Mädchen, Sehenswürdigkeiten. Vielleicht packt er zu Hause gerade seine Koffer. Oder er packt sie bereits wieder aus. Wayne weiß, wie stolz seine Eltern auf Mike sind. Vor allem der Vater. Wayne hört Bruce Springsteen singen:
    I’m a long gone Daddy in the U.S.A.
    Born in the U.S.A.
    I’m a cool rocking Daddy in the U.S.A.
    Born in the U.S.A.
    Einmal ist Wayne zusammen mit Mike in ein Springsteen-Konzert gegangen. Sie standen in der zweiten Reihe und grölten bei jedem Lied den Refrain mit. Zu Hause wurden sie vom Vater abgefangen, der ihnen betrunken verkündete, Springsteen sei eine genauso rote Socke wie Dylan, außerdem sei er wie alle Künstler schwul.
    Wayne war das damals egal. Zu jener Zeit dachte er, dass jedes Lied von ihm handelte, dass jedes Lied sein Leben berührte. Heute weiß er, dass das nicht stimmte.
    Was hören denn eigentlich unsere Männer und Frauen im Irak? Dass sie Musik hören, das wusste Wayne von Mike. Jedes Mal, bevor es losgeht, wird Musik gespielt. Volume-Regler nach rechts. Bis zum Anschlag. Musik stärkt das Selbstvertrauen. Mit Musik schießt man besser. Auch das Töten geht leichter von der Hand. Vielleicht auch das Sterben. Adrenalin. Endorphine. Aggressionen. Wie beim Boxen. Oder im American Football. Mike hat gesagt, dass es im Einsatz wie beim Leistungssport zugeht. Pausenloses Training, und wenn der Wettkampf da ist, rennt man los.
    Von den Militärpsychologen wird Musik geradezu empfohlen. Einer hätte sogar bei einem Briefing gesagt, erzählte Mike, dass Amerika den Vietnam-Krieg nicht verloren hätte, wenn es den MP 3-Player damals schon gegeben hätte. Das war Wasser auf Vaters Mühlen gewesen.
    Die Psychologen wissen, dass Musik den Menschen aus seiner Einsamkeit befreit. Mit Musik ist man nie allein. Man kann sich hinter Musik verstecken. Mit Musik in den Ohren rennt man nicht über eine reale Straße in Bagdad und feuert auf lebendige Menschen, sondern eliminiert nur Figuren in einem Computerspiel. Musik heißt Flucht. Rennen. Angriff.
    Mike erzählte, jeder amerikanische Soldat im Irak trage heute zwei Dinge um den Hals: seine Identifikationsnummer und einen MP 3-Player. Beides bekomme man zugeteilt. Stirbt einer, wird die Nummer eingezogen. Was wohl mit dem MP 3-Player passiert? Wird er an die Familie zurückgeschickt, zusammen mit den Pornoheften und der Armbanduhr des Verstorbenen? Hören sich die Hinterbliebenen an, was der teure Verstorbene gehört hat, als er draufging?
    Die Soldaten stellen eigene Charts zusammen, erzählte Mike weiter. Kill The Enemy. Iraq Top Ten. Ihre Lieblingsband komme nicht aus Amerika, sondern aus Deutschland. Rammstein. Heftiges Zeug. Wayne hat mal einen Kollegen gebeten, ihm eine Kopie zu machen. Vermutlich Clark. Wayne muss ihn daran erinnern. Die Musik könnte gut ins Fitnessstudio passen. Zum Boxen.
    Mit Mike hat sich Wayne nie richtig gut verstanden. Wayne hat immer nur Bücher verschlungen und Mike die Mädchen. Nicht dass Wayne keine Freundin gehabt hätte, aber Mike, der sich für Literatur nicht die Bohne interessierte, schaffte es locker, auch zwei Weiber an einem Abend zu beglücken. Die eine Flamme von ihm soll bei McDonald’s gearbeitet haben, die andere bei KFC .
    Auf einmal bekommt Wayne einen Riesenappetit auf Chicken Wings. Meist versucht er ungesunde Nahrung zu vermeiden. Antibiotika. Wachstumshormone. Tierquälerei. Die Problematik ist ihm mehr als bewusst. Aber auch hier drückt die Kleine ein Auge zu.

DIE ENTDECKUNG DER LANGSAMKEIT
    S ie schlendert zum Bücherregal. Anders als die Schallplatten sind die Bücher nicht in alphabetischer Reihenfolge geordnet. Bis zum heutigen Tag hat Vanda gerade mal drei Bücher durchgelesen. Und sie hat nicht vor, ihr Lesetempo zu beschleunigen. Auf Bücher kann sie sich nur schwer konzentrieren. Außerdem hat sie irgendwo gelesen, man lese nur, wenn man kein eigenes Leben habe. Sie hat aber eins. Außerdem noch die Band. Und ihre Tätowierung.
    Sie bleibt vor den Seekarten stehen. Die ganze Wand ist vollgekleistert mit ihnen. Sie sind leicht angestaubt. Er scheint wirklich allein zu leben. Atlantik. Pazifik. Nordsee. Indischer Ozean. Ostsee. Mittelmeer. Dort ist sie ein paar Mal gewesen, mit ihren Eltern zusammen, in
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