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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Autoren: Jaroslav Rudis
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…«
    »Pass bloß auf, dass er dich nicht auffrisst. Auf seine alten Tage giert er nach Frischfleisch.«
    »Auf seine alten Tage … Du redest wie mein Vater … Er sieht wunderschön aus. Wie ein Fisch aus dem Märchen.«
    Petr beobachtet noch eine Weile, wie die gestreifte Vanda Nestor Futter ins Wasser streut. Er mustert ihren mageren Körper, auf den die Pflanzen und Luftbläschen aus dem Aquarium tänzelnde Schatten werfen. Er beobachtet das Aquarium, das wie ein offenes Fenster zu sein scheint, das in eine andere Welt führt. Dann hört er das Meer rauschen. Er lässt sich von den Wellen tragen und fühlt sich wohl. Das Meer ist warm. Und gar nicht so salzig. Im Tosen der Brandung hört er Vanda mit Nestor sprechen. Ihm ihre Geschichte erzählen. Ihr kurzes, heftiges Leben. Aber vielleicht träumt er das auch nur. Bevor er sich der nächtlichen Stille hingibt, dreht er sich auf die Seite und vergräbt den Kopf im Kissen.
    In ein paar Stunden wird er aufstehen, Kaffee kochen, sich die erste Morgenzigarette anstecken, die einzige Pflanze in der Wohnung gießen und sich mit Malmö auf den Weg durch die allmählich erwachende Stadt zur Arbeit machen. So wie immer.
    »Ich bin so was von blöd. Naiv bis zum geht nicht mehr. Man kann mit mir machen, was man will. Ich hab ihm vertraut, verstehst du? Und dieses Arschloch fickt einfach ’ne andere. Dabei starrt er mir noch kurz vorher tief in die Augen und quasselt was von ewiger Liebe.«
    Die nackte Vanda hockt immer noch vor dem Aquarium. Nestors Schleier scheint kein Ende zu nehmen, als füllte jede seiner Bewegungen das Aquarium aus, deckte das Zimmer und die ganze Welt zu. Vanda findet das faszinierend. Könnte bloß auch sie unter diesem Schleier verschwinden.
    Vom Bett her kommt ein leises Schnarchen. Erst jetzt wird ihr bewusst, wo sie sitzt und mit wem sie redet. Und dass es kühl ist im Raum. Sie lächelt und tippt mit dem Finger gegen die Glasscheibe.
    »Schlaf gut, du Fisch.«
    Sie schaltet das Licht im Aquarium aus, streichelt die schlafende Malmö und schlüpft neben Petr ins Bett.

AUFWACHEN
    D en Handywecker hört sie nicht. Sie wird von einem Flugzeug geweckt. Draußen vor dem Fenster sieht sie noch die Flügel in die Höhe schießen. Hat sie denn gestern Abend vergessen, das Fenster zu schließen? Oder hat er es geöffnet, bevor er ging? Hat er sie noch geküsst? Oder hat sie das alles nur geträumt? Nein, er hat ihr bestimmt einen Abschiedskuss gegeben. Sein Geruch liegt noch in der Luft.
    Hana schaltet den Fernseher ein, stellt den Ton ab und macht noch mal kurz die Augen zu. Sie schläft für fünf Minuten ein, als läge sie nicht in einem Hotelzimmer, sondern in ihrem Prager Bett unter der hohen weißen Decke.
    Dann klingelt auf dem Nachttisch ihr Handy. Should I Stay or Should I Go. Wie hatte sie sich irgendwann mal ausgerechnet dieses Lied als Weckmusik aussuchen können? Wohl aus reiner Nostalgie. Halb sechs. Eine Stunde früher als in Prag. Gegen Mittag würde sie wieder dort sein.
    Sie hat leichte Kopfschmerzen. Der Wein gestern Abend war stark, vor allem aber hat sie zu viel davon getrunken. Von allem gab es gestern zu viel. Trotzdem fühlt sie sich gut. Nach langer Zeit wieder. Womöglich hat sie sich noch nie so gut gefühlt.
    Sie geht ins Badezimmer. Zuerst heiß, dann eiskalt duschen. Wie jeden Morgen. In der Zwischenzeit seift sie sich genüsslich ein. Sie könnte ganze Stunden mit Duschen verbringen. Sich blank waschen, sich auflösen – jetzt und hier – und mit dem Abflusswasser ins Meer gespült werden.
    Als sie wieder ins Zimmer kommt, brennt tonlos Irak auf dem Bildschirm. Mosul? Bagdad? Kirkuk? Basra? Irgendwo weit weg. Drei amerikanische Soldaten hasten durch das Bild, sie schleppen einen verletzten Kameraden auf einer Trage. Aus seinem Bauch sickert Blut. Für eine Sekunde erhascht sie einen Blick auf sein halb mit einem Helm verdecktes Gesicht. Er schreit, sie hört es aber nicht. Auch wenn der Ton an gewesen wäre, hätte sie ihn nicht hören wollen.
    Sie zappt sich durch die Programme. In der portugiesischen Version von Lass dich überraschen! schließt eine fünfzigjährige Frau einen jungen Mann in die Arme. Er wiegt ungefähr einhundertfünfzig Kilo. Eine Mutter und ihr wiedergefundener Sohn? Hana schaltet um. Europop. Eurosport. Euronachrichten. Erschöpfte nordafrikanische Flüchtlinge an einem spanischen Strand. Zum Schluss Horst Fuchs mit einem Ohrring und seinen scharfen, spitzen Messersets. Ausgerechnet er hat es
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