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Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu

Titel: Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
Autoren: Jaroslav Rudis
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will. Meine Alten sind total tolerant … Kann ich kurz ins Netz? Meine Mails checken?«, sie zeigt auf den PC unter dem Küchentisch.
    »Mein Anschluss hat ’ne Macke … Funktioniert nicht richtig. Beim nächsten Mal.«
    »Alles klar.«
    Er zieht die Tür hinter sich zu und läuft mit Malmö die Treppe herunter. Die Hündin fiept leise. Draußen ist es kühl. In den nächsten Wochen wird es noch kühler werden. Der Sommer in Prag geht heute definitiv zu Ende.

LA PETITE MORT
    D er Frühstücksraum ist voll. Hana nimmt einen Milchkaffee, ein Glas Orangensaft und ein Croissant, das sie aber nicht aufisst. Sie beobachtet die anderen Hotelgäste. Manche von ihnen kennt sie von der gestrigen Konferenz, manche vom abendlichen Empfang auf der Burg, die hoch über der Stadt liegt. Hier und da nickt sie zur Begrüßung mit dem Kopf. Der Ungar. Die estnische Kollegin. Der Brite – oder war es doch ein Ire? –, dem Thomas und sie nachts in der kleinen gelben Straßenbahn begegnet waren, der einzigen erwähnenswerten Touristenattraktion von Lissabon, die, wie Thomas meinte, eines Tages von den Chinesen aufgekauft und gemeinsam mit der Prager Burg und dem Louvre in Peking ausgestellt werden würde.
    Er ist nicht mehr da. Musste weiter nach Barcelona.
    Sie checkt aus. Das Taxi steht schon vor dem Hotel. Der bärtige Fahrer raucht seine Zigarette zu Ende und wirft die Kippe auf den Boden.
    »Bom dia. Aeroporto, por favor.«
    »You can speak English«, sagt er gleichmütig und stellt Hanas Koffer ins Auto.
    Jedes Mal, bevor sie zu einem neuen Ziel aufbricht, lernt Hana ein paar Sätze in der Landessprache, damit sie sich überall ein Glas Wein, etwas zu essen, einen Espresso, ein Taxi oder andere Kleinigkeiten bestellen kann. Sie lässt sich von der romantischen Vorstellung leiten, auf diese Weise den fremden Ort besser zu verstehen. Und selbst auch besser verstanden zu werden. Aber jedes Mal ist es dasselbe: You can speak English .
    Und dabei spricht sie doch sehr gut Deutsch, Französisch und Russisch. Obwohl sie nach der gestrigen Nacht für ihr Französisch nicht mehr die Hand ins Feuer legen würde. La petite mort. Dieser Ausdruck ist ihr während ihres Semesters in Genf nicht begegnet. Vielleicht ist ihr das Wort nicht untergekommen, weil sie dort keinen einzigen petite mort erlebt hat.
    Erst jetzt mit Thomas.
    Das Taxi fährt los.
    Lissabon wacht in einen warmen und blendend hellen Tag auf. Als wollte hier der Sommer nie zu Ende gehen. In Prag wird das Licht bereits weich und schwach geworden sein, die Schatten lang, denkt sie. Sie kurbelt das Fenster herunter, steckt ihren Arm hinaus und genießt die hereinströmende warme Luft. Die Stadt duftet nach Rosenblüten, nach Meer – und nach Thomas. Der Himmel leuchtet blau, und auf den Gehwegen vor den Cafés sitzen Männer, lesen ihre Zeitungen und trinken Kaffee. Alles geht ganz langsam vor sich. Ist das die Bar, wo Thomas und sie gestern Abend ihre letzte Flasche Wein getrunken haben?
    »First time in Lisboa?«, lächelt der Taxifahrer sie an.
    »Yes. Very nice city.«
    Hana lässt immer noch den Arm aus dem Fenster hängen, liebkost die Luft mit den Fingern und denkt an Thomas. An seinen Körper. An seinen schlanken Hals und seine langen, schmalen Finger. Daran, wie sie sich in der Straßenbahn an ihm festgehalten hat. Wie er sie in dem Bistro geküsst hat. Wie sie miteinander geschlafen haben. Wie sie sich dabei im Spiegel zugesehen hat und wie erregend sie die Idee fand, gesehen zu werden. Beobachtet. Gefilmt. Bei der Vorstellung ist ihr schwindelig geworden. Sie hat ihm die Fingernägel in den Rücken gestoßen und er hat laut aufgeschrien. Für einen kurzen Moment hat sie die Angst beschlichen, der Abend liefe aus dem Ruder.
    So ist es aber nicht gewesen.
    Sie denkt daran, wie sie mit ihren Lippen seinen Penis berührt hat. Und daran, wie er zum Schluss wissen wollte, ob sie gekommen sei, ob sie ihn gehabt habe. La petite mort.
    Das Wort kannte sie nicht. Sie kam sowieso selten zum Höhepunkt. Und ging nie fremd.
    Hana hat sich die Folgen der Untreue wie in einem Film vorgestellt. Sie hätte erwartet, von schlechtem Gewissen geplagt zu werden, aber so ist es nicht. Im Gegenteil – sie fühlt sich glücklich und stark.
    Der Wagen hält an einer Kreuzung. Für einen kurzen Moment bekommt Hana Lust, auszusteigen und in Lissabon zu bleiben.
    Für ein paar Tage.
    Für immer.
    Vor allem aber möchte sie in sich die große Ruhe erhalten. So lange wie möglich. Dieses
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