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Frau an Bord (Das Kleeblatt)

Frau an Bord (Das Kleeblatt)

Titel: Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Autoren: Hansi Hartwig
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1. Kapitel
     
    I hr Blick schweifte über den stählernen Koloss, der an der Pier des Überseehafens vertäut lag. Und während ihr noch die Augen überquollen und sie vor Spannung die Luft anhielt, lösten sich sämtliche ihrer Sorgen in Nichts auf. Dabei hatte es während der vergangenen Tage eine ganze Menge davon gegeben. Mehr zumindest, als ein friedliebender Mensch wie sie verdient hatte. Jawohl!
    Sie atmete langsam aus, klemmte die Aktentasche fester unter den Arm und strich mit einer liebevollen Geste über das weiche Leder, das ihren wertvollsten Besitz schützte. Einen wahren Schatz. Die Errungenschaft ihres Lebens! Lang ersehnt und – Gott war ihr Zeuge! – hart erkämpft. Geschafft! jubilierte sie zum hundertsten Mal, seit sie das Seefahrtsamt in der Rostocker Innenstadt verlassen hatte. Sie war gemustert für einen Bulkcarrier, was auf gut Deutsch und für all die Landratten, denen sie in diesem Moment ein triumphales „Lebewohl“ zurief, hieß, dass es sich um einen Schüttgutfrachter handelte. Kohle, Erz, Getreide – es war ihr völlig gleich, welche Ladung das Schiff befördern würde, denn in ihren Augen zählte bloß eines: Ausgerüstet mit den erforderlichen Stempeln und Unterschriften auf einem halben Dutzend Papiere durfte sie zur See fahren. Endlich!
    Gleichwohl spürte sie, wie sich beim Anblick der riesigen Pötte ringsum leise Zweifel in ihr Herz schlichen. Und dann schnappten die sich getreu dem Prinzip der maximalen Schweinerei natürlich prompt einen Stuhl und ließen sich darauf nieder, als hätten sie nicht vor, die junge Frau jemals wieder zu verlassen.
    I hr Puls beschleunigte sich, allerdings konnte sie sich nicht entscheiden, ob die Ursache dafür Vorfreude war oder Angst. Und wenn sie sich nun total übernommen hatte? Das Schiff war viel zu groß und die Hühnerleiter, die nach oben führte, erschien ihr wenig Vertrauen erweckend. Was, wenn die Leute an Bord sie nicht ausstehen konnten? Oder wenn sie die falschen Klamotten eingepackt hatte? Harry Pohl, der Flottenbereichsleiter, hatte lediglich bemerkt, die nächsten Fahrten der „Fritz Stoltz“ würden rechtsherum führen, woraufhin sie Begeisterung geheuchelt hatte, da ihr nichts Besseres einfiel (und sie sich nicht einmal unter Androhung von Gewalt als unwissend outen wollte, indem sie nach Details fragte).
    Auch gut , dachte sie mit schnippischem Schulterzucken, schließlich liebte sie Überraschungen und eigentlich war es ihr absolut egal, wohin der Wind sie trieb, wenn sie nur endlich an Bord käme. Aber was war mit ihrem Schwimmbuch? Hatte sie wenigstens das eingepackt?
    Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach, und war versucht, die Tasche abzusetzen, um das Seefahrtsbuch zu suchen. Zumindest den Heuerschein … hatte sie? Oder nicht?
    Mit wackligen Knien stakste sie das schwankende Fallreep nach oben und fragte sich, ob sie sich wenigstens mit einer Hand an dem Seil festhalten durfte, um noch eine einigermaßen gute Figur abzugeben. Sie fühlte den Blick der Gangway-Wache am anderen Ende auf sich gerichtet und reckte die blasse Nasenspitze in die Höhe.
    „Botho Buske, a.b.-man (Erklärung seemännischer Begriffe: siehe Glossar am Ende des Buches) zu Ihren Diensten“, grüßte der Mann und tippte mit zwei Fingern der Linken an einen imaginären Hutrand. „Wen darf ich melden?“ Er ahmte einen Polizisten nach, indem er an einem unsichtbaren Bleistift leckte und ihn über einen ebensolchen Schreibblock hielt.
    „Susanne Reichelt, Sir.“
    Grüne Augen musterten sie freundlich von Kopf bis Fuß und sie blinzelte zurück.
    „Verwandt oder verschwägert mit Claus Störtebeker oder Albert Einstein?“
    „ Mmmh“, wägte sie ernsthaft die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Verbindung zu diesen Herren ab. „Zumindest bis zum heutigen Tage nicht.“
    „ Was nicht ist, kann noch werden. Man soll bloß die Hoffnung niemals aufgeben. Dann sind Sie vermutlich die wie warme Semmeln angepriesene und von allen erwartete Funkerin?“ Er machte eine kritzelnde Bewegung in der Luft.
    „Assistentin, bitte “, berichtige sie und kaschierte ihre Belustigung hinter einem Hüsteln.
    „ Funker ist Funker“, winkte der Matrose ab. „Schön, Sie an Bord zu haben. Der Alte ist momentan auf der Brücke beschäftigt, aber der Chief Mate lässt ausrichten, dass wir Sie vorübergehend in die Springerkammer einquartieren müssen, weil er bisher keine Zeit hatte, sich mit dem Belegungsplan zu beschäftigen. Ich nehme doch an, Sie
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