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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone
Autoren: James Jr. Tiptree
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schlug versuchsweise mit einer Schwinge. »Ich habe sie so gemacht, daß sie leicht zu handhaben sind«, sagte er vertraulich zu Amory.
    »Aber ... aber ...«
    Neben ihm ließ der Hund ein grollendes Knurren ertönen. Er sträubte angesichts des geflügelten Menschen die Nackenhaare.
    »Leroy«, sagte Amory hilflos. »Mein Freund ...«
    »Dem wird's gutgehen.« Der Stellvertreter des Todes schlug erneut mit seinen Schwingen und erhob sich ein Stück in die Luft. »Oh, fast hätte ich es vergessen«, sagte er. »Vergessen Sie nicht: Der Tod läßt sich nicht spotten.«
    Mit einem gewaltigen Rauschen seiner schwarzen Schwingen flog der Mann über das nahe Dach, stieg höher und verschwand im Sonnenuntergang.
    Amory stand wie vom Donner gerührt da und schaute hinter ihm her. Er hielt die Wagenschlüssel in der Hand. Dory sah ihn erwartungsvoll an. Er konnte doch nicht mit dem Hund in die Bar zurückgehen. Aber er wollte ihn auch nicht wieder wegwünschen. Was tun? Sollte er den verrückten Auftrag in Angriff nehmen, zu dem man ihn gezwungen hatte? Offenbar erwartete der Mann genau das von ihm. Und er hatte sich so verhalten, als sei er in dieser Gegend so etwas wie eine Autorität. Oder nicht? »Der, der mich rekrutiert hat«, hatte er gesagt. Hieß das, daß auch er nur ein Geist war, den man dazu verdonnert hatte, das Empfangskomitee zu spielen? Und was wurde damit aus Amory? Ein Stellvertreter des Stellvertreters des Todes? Oder steckte mehr dahinter? Unter Umständen gab es hier eine ganze Kette von Stellvertretern, und niemand wußte irgend etwas ... Und was sollte das bedeuten: Der Tod läßt sich nicht spotten? Es klang unheilvoll. Wahrscheinlich ein Art Warnung, die Sache ernstzunehmen.
    Dory winselte leise. Amory fiel ein, daß der Hund gern Auto fuhr. Er warf noch einmal einen Blick auf den dunklen Himmel. Der helle Fleck war noch sichtbar. Und die Straße schien direkt auf ihn zuzuführen. Er konnte es durchaus versuchen; er hatte doch nichts zu verlieren.
    Er öffnete die Tür. »Auf und rein, alter Junge.«
    Dory sprang freudig in den Wagen und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Der Wagen roch neu. Und er mochte BMWs. Der Motor ging an und schnurrte sein fröhliches Lied von den guten Ingenieuren.
    Der Mann hatte gesagt, er würde die Leute schon aufspüren, die Hilfe brauchten. Aber wie? Vielleicht sollte er die Scheibe runterkurbeln, um Vibrationen oder so was einzulassen. Und was sollte er den Leuten erzählen? Offenbar konnte er ihnen alles erzählen, was ihm einfiel. Doch die Spott-Warnung bezog sich vielleicht genau darauf – damit er keine allzu phantastische Geschichte erzählte.
    Wenigstens ist mir nicht langweilig, dachte er. Sofort kam ihm eine schreckliche Vorahnung. Sogar dieser Job konnte im Laufe der Zeit und aufgrund der ewigen Wiederholungen langweilig werden. Amory hielt sich eilig zurück. Nicht an so was denken! Nicht daran glauben. Hier kriegst du das, woran du glaubst.
    Entschlossen schob er den Gedanken beiseite und legte den Gang ein.
    Als er auf den Highway hinausfuhr, fiel ihm ein alter Spruch ein. Er drehte ihn herum: Mitten im Tod bin ich vom Leben umgeben. Er stieß ein prustendes Gelächter aus. Dory bellte, was ihn zusammenzucken ließ. Er hatte ganz vergessen, daß der Hund auf Gelächter immer mit Gebell reagierte. Ob das bedeutete, daß er wenigstens ein bißchen real war? War auch er ein >Bewußtseinsfunke    Er fuhr den Highway hinunter, um dem existentiellen Unbekannten zu begegnen.
     
     
    Originaltitel  >ln Midst of Life<
Copyright © 1987 by the Estate of Alice B.  Sheldon
Erstmals veröffentlicht in:
>The Magazine of Fantasy and Science Fiction<, November 1987
Copyright © 1989 der deutschen Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ronald M. Hahn

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