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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone
Autoren: James Jr. Tiptree
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Mann. »Sie haben mich doch selbst hergebeten.«
    »Hergebeten?«
    Der Mann gab ihm mit einer Geste zu verstehen, daß er sich neben ihn setzen solle. Amory sah, daß sein Gesicht sehr weiß war. Seine Augen brannten wie Kohlen, und er spürte einen Schauer der Angst. Als er Platz genommen hatte, sagte der Mann unbeteiligt: »Ich bin der Tod. Oder, um genau zu sein, sein Stellvertreter.«
    Trotz der Faszination des Grauens empfand Amory einen Stich der Zufriedenheit. Endlich würde er ein paar Erklärungen zu hören kriegen. Der Mann, dersich als Tod bezeichnet hatte, stellte, wenn man von seinen Augen absah, nichts Besonderes dar. Er trug einen Anzug, der nicht dunkler war als sein eigener. Er war kein Geist, kein Phantasiegebilde ... Doch was war er dann? Bevor Amory etwas sagen konnte, fuhr der Mann fort: »Jetzt können Sie etwas für mich tun.«
    Wieder betrat eine Frau den Raum, eine gut aussehende kleine Blondine, die so langsam ging wie ein Zombie. Sie war die einzige, die sich momentan in diesem Raum bewegte, auch wenn die Geräusche der vollen Bar noch immer zu hören waren und sogar die Treppe hinaufdrangen. Die Blondine verbeugte sich vor Amory. Aus ihrem offenen Mund kam ein tiefes Stöhnen, wie von einem Tonband, das zu langsam ablief.
    »Was?« fragte Amory verwirrt. »Hören Sie, ohne ihn läuft alles falsch. Es ist ... es ist grotesk, entsetzlich.«
    »Stört es Sie? Natürlich.« Der Mann hob die Hand und schnappte mit den Fingern. Sofort wurden die Lichter wieder heller, und alles verlief wieder in normalem Tempo. Die Blonde wirbelte lachend weiter.
    »Besser?«
    »O ja. Äh ... danke.«
    Der Mann sah ihn an. In seinem Blick war etwas Klinisches. »Verstehen Sie das alles?« fragte Amory.
    »Ja.«
    »Und wo sind wir dann?«
    »Im Land der Toten. In einem davon.«
    »Und das hier ist alles nur Erinnerung, ja? Es sind die Erinnerungen eines Menschen?«
    »Richtig.«
    »Warum sind meine Erinnerungen dann so schwach? Und so nebelhaft?«
    »Weil der Tod Sie schon gestreift hat, als Sie noch am Leben waren.«
    Amory dachte darüber nach. Es klang so wie das, was er damals empfunden hatte. Ja, der Tod hatte ihn gestreift.
    »Warum?« Der Mann ging nicht direkt auf seine Frage ein. Statt dessen sagte er: »Wir sind von der gleichen Art. Ich habe es gewittert, sobald Sie in der Nähe waren. Sie werden es auch wittern.«
    Amory dachte ein Stück weiter. »Aber dies ist der Tod?«
    »Ja.«
    »Er hat keine Ähnlichkeit mit dem, was ich erwartet habe. Ich dachte, mein Leben würde einfach enden. – Nichts. Null.«
    »Das ist die einzige Vorstellung, die nicht erfüllt wird.«
    »Und warum nicht? Ich meine, es wäre doch logisch. Was passiert mit einer Kerzenflamme, wenn man sie auspustet?«
    »Vielleicht ist ein Bewußtseinsfunke, wenn er einmal angezündet wurde, nicht so leicht wieder auszublasen.«
    »Nein, es müßte leicht sein.« Amory bot ein ganzes Leben aus gelassener, doch leidenschaftlicher Schlußfolgerung auf. »Schauen Sie, das Bewußtsein gehört zu den neuesten Entwicklungen. Es ist die allerneueste. Deswegen müßte es zerbrechlich sein. Ist es auch. Nehmen Sie die Wirkung einiger Drinks oder eines Schlages auf den Kopf. Und weg ist es. Paff!«
    »Vielleicht«, sagte er blasse Mann unverbindlich.
    »Sie sagen, es sei die einzige Vorstellung, die nicht erfüllt wird«, sagte Amory nachdenklich. »Bedeutet das, daß alle anderen erfüllt werden? Angenommen, ich hätte an das übliche Zeug geglaubt – an die Himmelspforte, den heiligen Petrus, den Jüngsten Tag, an Himmel und Hölle – hätte ich das dann vorgefunden?«
    »Ja. Oder das, was Sie sonst geglaubt hätten.«
    »Was wäre passiert, wenn ich geglaubt hätte, ich würde sofort in der Hölle landen?«
    »Dann wären Sie in der Hölle gelandet. Wenn Sie wirklich an sie geglaubt hätten.«
    »Aber das ist ja schrecklich! Die Hölle ... Für wie lange? Und wann endet das hier? Was passiert hinterher?«
    Der Stellvertreter des Todes warf einen Blick auf seine Hände. »Ich habe doch gesagt, das hier ist nur eins der Reiche des Todes. Es ist für einen speziellen Typ bestimmt. Für die Ungläubigen, verstehen Sie?«
    »Also für mich.«
    »Genau. Aber wie ich schon sagte, auch Sie sind etwas Besonderes.« Der Tonfall des Mannes änderte sich abrupt. »Würden Sie einen Augenblick mit hinausgehen? Da ist etwas, das ich Ihnen zeigen möchte.«
    Amory warf einen flüchtigen Blick auf die Treppe, doch da Leroy sich nirgendwo zeigte, folgte er
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