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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone
Autoren: James Jr. Tiptree
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seinem Geistertruck davongefahren, wie Amory in seinem Anzug aus dem Haus gegangen war.
    Er mußte vorsichtig sein, damit er den Glauben an die Realität von Leroys Welt nicht erschütterte, sonst ließ er das, was Amory so beruhigend erschien, eventuell zusammenbrechen. Aber diese Gefahr bestand wohl kaum – Amory nahm an, daß Leroy nur lachen würde, wenn er ihm erzählte, daß er tot war. »Was meinen Sie damit, ich bin tot?« Und wirklich, dachte Amory, was meine ich damit?
    Sie rumpelten weiter durch einen endlosen Sonnenuntergang; der gewaltige Laster schien die Straße in sich hineinzufressen. Amory fiel auf, daß sie jetzt nicht mehr leer war. Hin und wieder begegnete ihnen ein Wagen oder überholte sie; die Menschen fuhren ausnahmslos rücksichtsvoll; vielleicht waren sie eine glückliche Erinnerung Leroys.
    Sie plauderten oberflächlich miteinander; sie redeten über die Fabrikation von Autos und die Eigenarten ihrer Fahrer. Amory fühlte sich wohl; er erfuhr allerhand über Trucks und Fernfahrer. Wenn er je wieder an einen Computer kam, nahm er sich vor, würde er ein paar Firmennamen nachschlagen müssen. Es ging doch nichts über Verbraucherberichte aus erster Hand! Es kam ihm unglaublich vor, als ihm einfiel, daß er tot war und wahrscheinlich keinen Verwendungszweckmehr für diese Informationen hatte.
    Der einzige Hinweis auf seinen Zustand war der goldene Himmel, der nicht dunkler wurde. Es war die schöne Zeit des Abends, in der Neon- und Bogenlampen vor dem farbigen Himmel erblühten. Und so blieb es auch. Leroy gab keinen Kommentar über die unnatürliche Länge des Abends ab. Als sie sich einer großen Dreifach-Überführung näherten, deutete der kleine Mann nach vorn.
    »Da ist das Overlook!« sagte er zufrieden.
    Auf der obersten Ebene ragte eine stattliche Gebäudegruppe auf. Darüber war ein großes Schild zu sehen:
    OVERLOOK – TRUCKER-BAR  UND -RESTAURANT.
    Darunter stand
    Z I M M E R M I T F R Ü H S T Ü C K  – K O M P L E T T E RS E R V I C E  – R U N D U M D I E U H R. K E I N E P R I T V A T F A H R Z E U G E.
    Amory glaubte, eine mittelalterliche Burg auf einem Hügel vor sich zu sehen.
    Sie bogen vor der Überführung in eine Enklave ab, die sich als Parkplatz entpuppte, die voller großer Trucks und Wohnwagen war. Links von ihnen befand sich ein Kmart-Laden, rechts von ihnen die zweistöckige Bar mit Restaurant. Sämtliche Zufahrtswege waren auf Laster eingestellt. Leroy rollte Daisy auf den Parkplatz und nahm von einem adretten Mädchen in Uniform einen Parkschein entgegen.
    »Voll heute abend, Patty.«
    »Ja, Mr. Leroy.«
    »Hier kennen mich alle«, vertraute Leroy Amory mit einem Grinsen an und fuhr Daisy in eine Lücke zwischen zwei Behemoths. Als sie ausstiegen, fühlte Amory sich von der schieren Größe der gewaltigen Laster, die hier aufgereiht standen, beeindruckt und inspiriert. Das war wirklich etwas Neues für ihn!
    »Die Bank ist da drüben.« Leroy führte ihn zum Kmart-Laden.
    »Sie ist auf? Um diese Zeit?«,
    »Rund um die Uhr. Sie werden's sehen. Im Overlook ist immer alles offen.«
    Hinter den Gängen mit Kleidern und Zubehör, in einer Ecke, sah Amory die Fenstergitter und Theken einer kleinen Bankfiliale. Es war keine der Banken, mit denen er eine Geschäftsverbindung hatte. Er machte sich beiläufig eine weitere geistige Notiz: eine Firma mit Unternehmungsgeist.
    Nach dem kurzen, absolut normal verlaufenden Gespräch mit einem weiteren adretten Mädchen bekam er fünftausend auf seine goldene Kreditkarte. Während das Mädchen telefonisch seinen Kontostand überprüfte, fragte sich Amory, wer wohl am anderen Ende der Leitung saß. Etwa die Vorhöllen-Zentrale? Es erschien ihm unvorstellbar, daß all dies – und die fünf Scheine, die sie ihm schließlich aushändigte – Phantasieprodukte seiner Erinnerungen waren.
    Er nahm einen Tausender heraus und drängte ihn Leroy auf.
    »Nur so – damit Sie mich nicht vergessen und nicht ohne mich abfahren«, lächelte er.
    Der kleine Mann protestierte zwar, aber dann ließ er sich den Schein doch aufdrängen und schob ihn in eine zerfledderte Brieftasche.
    »Ich sage Ihnen, wohin ich damit heute abend nicht hingehe«, sagte er zu Amory. »Mit dem Geld.«
    »Wohin?«
    »An den Blackjack-Tisch.«
    »Oh, ein Kasino gibt's hier auch?«
    »Sag' ich doch. Alles.« Leroy schaute mit einemschüchternen Lächeln zu Amory hinauf und fügte leicht geziert hinzu: »Auch Mädchen. Hostessen.«
    »Ach ja?«
    »O ja. Mann!«
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