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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone
Autoren: James Jr. Tiptree
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der Vorstadt. Er eilte weiter.
    Und dann kam ihm ein weiterer Gedanke. Er hatte von Menschen gehört, die nach einem Kopfschuß nicht starben, sondern als elende Schwachsinnige weiterlebten, weil man sie an Schläuche und Maschinen anschloß. Vielleicht war ihm das zugestoßen! Vielleichtlag er in Wirklichkeit schon im Krankenhaus und war mit einer Herz-Lungen-Maschine und anderen lebenserhaltenden Instrumenten verbunden. Vielleicht träumte er nur. Vielleicht signalisierte das Schrumpfen der Welt nur die Rückkehr in seinen Körper, damit er fortan das >Leben< eines Idioten führen konnte!
    »O Gott!« Er flehte eine rein verbale Gottheit an, dann wich er erschreckt zurück und fragte sich, ob er damit irgendeine unbekannte beleidigt hatte.
    Nun, wenn er es nicht geschafft hatte, sich umzubringen, dann war es doch wohl das Offensichtlichste, die Tat jetzt zu vollenden. Er mußte sich töten, hier und jetzt. Aber wie? Hier gab es keine Waffen.
    Er untersuchte die Läden des nächstliegenden Einkaufszentrums. Natürlich gab es dort keinen Waffenladen. Nicht einmal eine Eisenwarenhandlung. Und niemanden, der die Läden betrieb. Nun, wenn er ein Haushaltswarengeschäft finden konnte, brauchte er nur hineinzugehen und sich ein Messer zu besorgen. Es würde unsauber werden, und auch schmerzhaft. Aber er glaubte, daß er es schaffen konnte.
    Wieder passierte er rechts ein Warenhaus. Auch hier gab es kein passendes Geschäft. Aber er würde bald eins finden; er wußte genau, wie sie aussahen.
    Er schlenderte weiter und hielt angestrengt Ausschau, bis ein Geräusch hinter ihm ihn herumfahren ließ.
    Auf einer Straße, die ganz deutlich ein Interstate Highway war, kam mit hohem Tempo ein großer Lastwagen auf ihn zu.
    Er konnte sich überfahren lassen! Das würde ihn mit Sicherheit umbringen.
    Amory wußte, daß es Menschen gab, denen es gelang, sich auf diese Weise umzubringen. Und sein Körper war geschmeidig und koordiniert. Er konnte es versuchen. Ja.
    Er schlich sich zum Seitenstreifen der Straße und hockte sich hinter ein Gebüsch.
    Der gewaltige Zwölfrad-Laster kam furchterregend schnell näher. Er war blauweiß und hatte einen glitzernden Kühlergrill. Über der Windschutzscheibe stand LEROYS TRANSPORTE. Schnell ... jetzt ...
    Amory sprang auf die Straße, genau vor den Wagen.
    Doch mitten im Sprung wurde ihm klar, daß er zu früh gehandelt hatte. Bremsen quietschten. Das Ungeheuer rutschte an ihm vorbei und warf ihn in seinem Luftsog um.
    Als Amory sich wieder aufrappelte, sah er, daß der Laster anhielt. Aus einem Grund, der ihm selbst nicht klar war, ging er langsam und sinnloserweise auf ihn zu.
    »Was haben Sie vorgehabt? Wollten Sie sich umbringen?«
    Der Fahrer kletterte aus dem Führerhaus; er hielt eine funkelnde Zange in der Hand. Zu Amorys Erleichterung war der Mann klein. Aber er war muskulös und hatte schütteres rotes Haar. Als die beiden sich einander näherten, wiederholte er seine Frage: »Wollten Sie sich umbringen?«
    »Ja«, sagte Amory. »Aber ich hab's vermasselt.«
    »Ah, ein Springer, was? Tja, Sie haben's nicht vermasselt. Ich habe Sie verpaßt. Sie sollten dankbar sein. Ihr Springer denkt nie darüber nach, was ihr 'ner Kutsche antun könnt. Und dem Fahrer. Ihr denkt überhaupt nie nach!«
    »Tut mir leid«, sagte Amory geistesabwesend. Ihm fiel etwas auf. In der Umgebung des Lastwagenfahrers kam ihm die Welt anders vor. Die Landschaft war heller, detaillierter, und der Nebel war kaum noch sichtbar. Und es gab auch wieder Alltagsgeräusche. Vor ihnen, an der Tankstelle, schrie ein Mann herum, und Amory konnte lebendige Menschen in seiner Umgebung sehen. Es waren keine finsteren Gespenster wie in der Eingangshalle des Hauses, sondern echte Menschen, die sich bewegten. Und die Sonne schien. Es war wunderbar!
    »Sind Sie Leroy?« fragte er den Fahrer gedehnt.
    »Yeah. Das ist meine Kutsche; Sie hätten sie beinahe auf den Schrottplatz gebracht.«
    »Tut mir wirklich leid. Ich habe nicht gewußt, daß ein Mensch etwas so Großes und Schweres beschädigen kann.«
    »Ach, ihr denkt doch nie nach. Ich sollte Sie anzeigen.«
    Amory dachte schnell nach. Er hatte noch nie einen Lastwagenfahrer kennengelernt. Leroy mußte echt sein; er war kein Toter, wie er selbst. Wenn dies Leroys Welt war, dann unterschied sie sich von der seinen. Und war ihr vorzuziehen. Er durfte den Kontakt mit Leroy nicht verlieren.
    »Tun Sie's bitte nicht. Ich heiße Amory. Ich würde gern ein Stück mit Ihnen fahren.
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