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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone
Autoren: James Jr. Tiptree
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ausbrechenden Tumult und gelangte in die Eingangshalle. Hier zögerte er einen Moment. Das Gefühl der Endgültigkeit war stark; er hatte den Eindruck, als könne er zu dem, was er nun verließ, nie wieder zurückkehren. Na, wenn schon.
    Kurz darauf durchquerte er die Eingangshalle und ging zum Vordereingang hinaus. Dann schritt er über den sich windenden Weg. Peters hielt sich dort auf, er stand neben dem Stadtwagen und schaute zum Haus hinauf.
    »Hallo«, sagte Amory.
    Peters schien ihn weder zu sehen noch zu hören. Amory ging weiter. Er kam an das schmiedeeiserne Tor. Hier blieb er stehen und warf einen letzten Blick zurück.
    Ein milchiger Nebel lag zwischen ihm und dem Haus. Er wußte jetzt – absolut und endgültig –, daß er tot war.
    Und allem Anschein nach war er im Land der Toten.
    Es erschien ihm nicht viel anders. Vor dem Tor breitete sich die vertraute, zweispurige Asphaltstraße aus, die von hohen Bäumen umsäumt war. Der Tag war trüb, das Licht leicht grünlich.
    Er ging durch das Tor – es fiel ihm gar nicht richtig auf – und nahm die Straße in Angriff.
    Er hatte kein Ziel, und für die nächste Zeit brauchte er auch keins. Er wollte einfach nur durch die zunehmend undurchsichtiger werdende Landschaft schreiten. Alles war still. Er sah keine Menschen; auch Fahrzeuge kamen nicht an ihm vorbei. Dann wurde die Landstraße unmerklich zur Straße einer kleinen Ortschaft. Doch der Ort war still, ohne Verkehr und Menschen. Nach einiger Zeit veränderte sich die Straße erneut und wurde, Häuserblock für Häuserblock, zu einer Straße einer stillen Großstadt.
    Er ging und ging. Das blasse Licht blieb immer gleich, obwohl er wußte, daß es nun Abend war. Seine Armbanduhr, stellte er fest, war um 3:48 stehengeblieben.
    Doch nun fuhren hin und wieder Fahrzeuge vor ihm her und verschwanden in den Seitenstraßen. Einmal kam ihm eins so nahe, daß er einen Ausruf tat und dahinter herlief, doch als er an die Ecke kam, vom Klang seiner eigenen Stimme noch immer erschreckt, war es verschwunden.
    Er schlenderte weiter, verwirrt von einem Gefühl zunehmender Vertrautheit. Die Ecke dort, das Gebäude ... Er wußte, daß er die Gegend schon mal gesehen hatte; vielleicht sogar sehr oft. Aber alles hier erschien ihm falsch zusammengesetzt, vertauscht.
    Er kam an einem Block mit Luxus-Eigentumswohnungen vorbei. Da stand auch ein wohlbekanntes Gebäude, in dem Freunde von ihm in einem Penthouse lebten. Sollte er hineingehen und sehen, ob er sie aufstöbern konnte? Er lugte in die beleuchtete Lobby hinein. Sie war leer. Hinter dem Schreibtisch am Empfang glaubte er einen dunklen, bewegungslosen Schatten zusehen. Ob es sich dabei um jemanden handelte, der ihm sagen konnte, wo er war? Er bezweifelte es. Kurz darauf ging er weiter.
    Noch immer schwebte über allem ein Gefühl von déjà vu. Sein Blick fiel nie auf etwas Unerwartetes oder Eigenartiges – wenn man von der Leere einmal absah. Er wußte nur nicht, in welcher Stadt er sich befand. Waren das nicht die Straßen, durch die er täglich kam? Oder entstammten sie einer früheren Zeit? Er konnte es nicht unterscheiden.
    Vor ihm breitete sich ein smogähnlicher, nebelhafter Vorhang aus, durch den er nicht sehr weit sehen konnte. Als er sich umdrehte, verdeckte der gleiche Vorhang die Häuserblocks, die er schon hinter sich gelassen hatte.
    Er ertappte sich bei dem Wunsch, außerhalb der Stadt zu sein. Zwar stieß er hier auf Streckenschilder, aber die Aufschriften sagten ihm nichts. Aber sie schienen zu bedeuten, daß die Straße in einen Highway mündete, der am Stadtrand vorbeiführte. Gut. Es würde ein langer Marsch werden, aber das Tempo, das er vorlegte, ermüdete ihn nicht, und eine Alternative gab es nicht. Er beschleunigte seine Schritte und bewegte sich zielbewußter.
    Der nicht erfolgte Empfang verwirrte ihn allmählich und mehr als das: Er verärgerte ihn. Er hatte doch gewiß eine bedeutsame Grenze überschritten – die vom Leben zum Tod. Erwartete ihn denn nicht irgendeine Art Erkenntnis oder Erklärung? Oder wenigstens ein Zeichen, das ihm sagte, wo er war und was nun weiter geschah?
    Seine eigenartige Existenz war nichts, was in irgendeiner der Religionen vorkam, die er kannte. Er war zwar persönlich ein stiller Ungläubiger, aber er hatte einiges gelesen, und Margo hatte ihn gelegentlich zu einer Hochzeit oder zu einer Beerdigung in die Kirche mitgenommen. Er wußte, daß er nicht im Himmel oder in der Hölle war. Hätte man ihn verurteilt,
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