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Kein Fall fuer Wilsberg

Kein Fall fuer Wilsberg

Titel: Kein Fall fuer Wilsberg
Autoren: Kehrer
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I
    Über mir blauer Himmel, links und rechts ein paar Palmen, unter mir feinkörniger, weißer Sand. Und auf meiner Brust lag ein schokoladenfarbiger Arm. Nicht in der Farbe des Kakaos, den man früher mit kochender Milch und Kakaopulver zusammenrührte und den die heutigen Kinder gar nicht mehr kennen, nein, ein Arm in der Farbe dieser sofortlöslichen Fertigmischungen. Der Arm gehörte Nellie, die sich zufrieden neben mir rekelte und dabei leise seufzte.
    Ich sah das alles nicht, denn ich hatte die Augen geschlossen. Ich wußte aber, daß es so war, denn in den letzten zehn Minuten konnte sich unmöglich viel verändert haben.
    Plötzlich schob sich eine kleine Wolke vor die Sonne, Schatten fiel auf meinen Kopf. Ich riskierte es, mein rechtes Augenlid ein wenig anzuheben, und die Wolke begann zu sprechen: »Habe ich dich endlich gefunden!«
    Die Wolke sah aus wie der Kopf meiner kleinen Schwester.
    »Du glaubst gar nicht, wie schwierig es war, deine Adresse herauszubekommen.«
    Ich öffnete beide Augen.
    »Was machst du hier?« fragte ich blöde.
    »Ich habe dich gesucht.« Sie hockte sich hin. Ein weißes Kleid umspielte ihren schlanken Körper. Ihr Haar glänzte wie bei den Frauen in der Fernsehwerbung.
    Nellie nahm ihren Arm von meiner Brust. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich aufzurichten.
    »Du bist doch nicht zweitausend Kilometer geflogen, nur um mich mal zu besuchen!«
    »Wer ist das?« fragte meine Schwester.
    Ich drehte mich um. Nellie starrte die Frau in Weiß mißtrauisch an. Sie verstand kein Deutsch.
    »Das ist Nellie. Nellie, das ist meine Schwester«, erklärte ich auf Englisch.
    »Hat sie auch einen Namen?« fragte Nellie.
    »Christiane. Wir sagen Kiki zu ihr.«
    Die beiden Frauen nickten sich mit starren Gesichtern zu. Kiki spielte mit den Fingern im Sand.
    »Nun sag schon!« drängte ich. »Was ist passiert?«
    »Ich möchte, daß du zurückkommst.«
    »Warum? Ist jemand gestorben?«
    »Nein.« Sie hob eine Handvoll Sand in die Höhe und ließ ihn fliegen. »Es geht um Jochen.«
    Jochen war ihr Ehemann, mein Schwager. Besitzer einer Metallfirma im münsterländischen Warenfeld. Ich mochte ihn nicht. Ich mochte die ganze Familie nicht. Eine kleinkarierte, spießige, erzreaktionäre Familie, besonders der Alte, Jochens Vater. Bis vor einigen Jahren hatte er die Firma geleitet und sie dann seinen beiden Söhnen übergeben. Aber im Hintergrund zog er noch die Drähte, saß im Gemeindeparlament und im Kirchenvorstand. Ich hatte nie verstanden, wie Kiki mit diesen Leute klarkam, mal abgesehen davon, daß Jochen Geld hatte, reichlich Geld.
    Die Gefühle beruhten übrigens auf Gegenseitigkeit. Für Jochens Familie war ich zuerst ein bunter Hund und später, nach dem Entzug meiner Anwaltslizenz, ein schwarzes Schaf. Ich hatte die sowieso nur sporadischen Verwandtenbesuche eingestellt. Ich konnte nicht sagen, daß mir danach etwas fehlte.
    »Was ist mit Jochen?« fragte ich frostig.
    Kiki schaute mich ernst an. »Er ist in Schwierigkeiten.«
    »Was für Schwierigkeiten? Finanzielle?«
    »Nein. Ich glaube, er wird erpreßt.«
    Ich betäubte mit einem gezielten Schlag eine Fliege, die die Frechheit besessen hatte, sich auf meinem Bauch niederzulassen.
    »Von wem?«
    »Ich weiß es nicht. Er spricht mit mir nicht darüber.«
    Ich nahm die Kappe vom Kopf und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Dann fischte ich die Schachtel Zigarillos aus dem Beutel, der neben mir im Sand ruhte, und zündete mir umständlich einen braunen Stengel an.
    »Wie hast du es gemerkt?«
    »Er ist in letzter Zeit sehr nervös. Immer, wenn das Telefon klingelt, schrickt er zusammen.«
    »Vielleicht eine andere Frau.«
    Kiki lächelte gequält und wedelte den Rauch beiseite. »Das hätte ich gemerkt. Eine Frau spürt, wenn eine andere im Spiel ist.«
    »Wer könnte es dann sein?«
    »Die Araber.«
    Ich kratzte mich am Kopf. »Die Araber, soso.«
    »Ja. Jochens Firma macht Geschäfte mit arabischen Staaten. Ich nehme an, daß er ihnen nicht mehr das liefern will, was sie verlangen.«
    »Und deshalb erpressen sie ihn?«
    »Oder sie drohen, ihm etwas anzutun.«
    Ich blies den Rauch nach oben. »Na gut, das ist ein ernstes Problem. Aber was habe ich damit zu tun?«
    »Ich möchte, daß du mit mir zurückfliegst und ihm hilfst.«
    »Nein«, sagte ich entschieden. »Kommt gar nicht in Frage. Du erinnerst dich vielleicht, daß ich vor sechs Monaten einen schweren Unfall hatte. Ich muß mich erholen. Es geht mir zwar schon wieder
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