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Kein Fall fuer Wilsberg

Kein Fall fuer Wilsberg

Titel: Kein Fall fuer Wilsberg
Autoren: Kehrer
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Sie aber konnte sich nicht sattsehen an den vorbeifliegenden Wolkenfetzen.
    Meine kleine Schwester. In Ermangelung anderer Geschwister meine Lieblingsschwester. Sie ist zwei Jahre jünger als ich (inzwischen auch schon weit über dreißig). Als Kind mußte ich sie immer mitnehmen, wenn ich mit meinen Freunden spielen wollte. Dafür bekam sie dann die Aufgabe, auf den Wigwam aufzupassen, während wir Jungs den feindlichen Indianerstamm bekämpften. Hinterher beschwerte sie sich bei unserer Mutter, und ich durfte nicht Kobra, übernehmen Sie! gucken.
    Später profitierte sie davon, daß ich schon mühsam alle Freiheiten erkämpft hatte, bevor sie in das entsprechende Alter kam.
    Während des Studiums – wir studierten beide Jura in Münster – verloren wir uns ein wenig aus den Augen. Ich war zuerst ein linker Student und dann ein linker Anwalt, sie hatte nichts übrig für Demonstrationen, Agitation und Rektoratsbesetzungen. Gegen Ende ihres Studiums lernte sie den Betriebswirtschaftsstudenten Jochen Große-Hülskamp kennen, Sproß einer alteingesessenen Warenfelder Familie. Jochens Großvater hatte mit einer Werkstatt für landwirtschaftliche Geräte begonnen, und Jochens Vater, Alfons Große-Hülskamp, hatte das Ganze zu einer modernen Maschinenbaufabrik weiterentwickelt. Mit rund 300 Beschäftigten war die Grohü GmbH inzwischen der größte Betrieb in Warenfeld.
    Nach ihrem Zweiten Staatsexamen heiratete Kiki Jochen Große-Hülskamp, der bereits in der väterlichen Firma arbeitete. Nach allem, was ich weiß, wäre Kiki eine gute Juristin geworden, aber sie begnügte sich mit ihrer Rolle als Hausfrau, mal abgesehen von gelegentlichen juristischen Ratschlägen und Briefdiktaten für die Firma, die ihr Mann mittlerweile leitete.
    »Es ist mein Leben«, sagte Kiki.
    Ich hasse es, wenn sie meine Gedanken liest.
    »Was hast du denn aus deinem gemacht? Ein linker Anwalt, der Polizistenbeleidiger und Kasernenblockierer aus den Klauen der Klassenjustiz entrissen hat, gestürzt über die Veruntreuung von Mandantengeldern. Zurückgekehrt als Briefmarkenhändler und Privatdetektiv, inzwischen Berufsinvalide. Habe ich das richtig zusammengefaßt?«
    »Es gab auch schöne Zeiten«, verteidigte ich mich.
    »Natürlich. Glaubst du eigentlich, daß ich in meiner Villa in Warenfeld sitze und langsam versauere? Ich spiele Tennis, ich bin in mehreren Vereinen aktiv, alle paar Wochen mache ich eine Reise, mit und ohne meinen Mann. Wenn es mir mal langweilig wird, organisiere ich ein Fest für irgendeinen guten Zweck.«
    Kein Wunder, daß ihr das Alter nichts anhaben konnte. Wie sie da saß, in ihrem seriösen grauen Kleid, eine gepflegte, nahezu makellose Erscheinung, wußte man gleich, daß sie von den mörderischen Anforderungen der kapitalistischen Berufswelt verschont wurde.
    »Was guckst du so?« fragte Kiki.
    »Ich dachte über unsere unterschiedlichen Auffassungen vom Leben nach. Im Gegensatz zu dir brauche ich die Herausforderung, die neue Aufgabe.«
    »Das habe ich gesehen. Sah sehr anstrengend aus, was du da am Strand gemacht hast.«
    Ich schnalzte. »Das ist nur vorübergehend. Sobald ich wieder gesund bin, mache ich etwas Neues.«
    »Und was?«
    »Ich weiß noch nicht.«
    »Aha!«
    »Auf jeden Fall«, verteidigte ich mich, »würde ich mich nicht in die Klauen einer Familie vom Schlage der Große-Hülskamps begeben, nur um mir ein gutes Leben zu erkaufen. Alfons alleine genügte, um eine chronische Gastritis zu verursachen.«
    »Ich sehe ihn ja nicht ständig. Und Jochen ist ganz anders. Er ist viel weltoffener und toleranter, als du denkst.«
    »Wo wir schon dabei sind«, lenkte ich das Gespräch auf den Grund unserer Heimreise. »Gehören zur Weltoffenheit auch die Geschäfte mit den Arabern?«
    »Es war nicht seine Idee. Er hat die Kontakte vom Alten übernommen.«
    »Und was ist daran nicht koscher?«
    Kiki senkte ihre Stimme. »Weißt du, was dual use ist?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Das heißt, daß man etwas so oder so verwenden kann, für friedliche und für militärische Zwecke. Die Grohü GmbH produziert Werkzeugmaschinen. Dämmert dir etwas?«
    Ich stieß einen Pfiff aus. »Außenwirtschaftsgesetz. Die Länder, mit denen dein Mann Geschäfte macht, stehen auf der schwarzen Liste.«
    »Nehmen wir ein simples Beispiel: eine Maschine, die Radkappen herstellt, kann ohne großen Aufwand so umgerüstet werden, daß sie Granathülsen produziert.«
    »Und was sagt dein Mann dazu?«
    »Er sagt, daß das
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