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Die Stadt in den Sternen (German Edition)

Die Stadt in den Sternen (German Edition)

Titel: Die Stadt in den Sternen (German Edition)
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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erkennen, als stünden sie direkt vor ihm. Er suchte eine Weile, dann fand er aus dem Häusermeer das Hochhaus des Instituts für Sicherheit und öffentliche Ordnung heraus. Schweigend wandte McMan sich ab. Der Raum, in dem er sich befand, war unbeleuchtet. Seine Außenwände bestanden aus dem gleichen Material, mit dem die Unterseite der schwebenden Stadt getarnt wurde. Vibrierende Mikroprismen in der biosynthetischen Schutzhaut an der Ostflanke des Hirli erweckten den Anschein eines schneebedeckten Berghanges. Die Polarisation war so perfekt, daß nicht einmal Dr. Ragano von der Existenz des getarnten Beobachtungsraums wußte. Auch Nail McMan hatte angenommen, daß die durch Levi-Lepra verseuchten Bewohner der schwebenden Stadt sich ständig unterhalb von Palmyra aufhalten mußten. Langsam wurde ihm klar, daß er sehr wenig über die Lebensbedingungen dieser Ausgestoßenen wußte. Sie waren die Parias der schwebenden Stadt. Niemand sprach über die Strahlengeschädigten. Sie wurden absichtlich vergessen.
    Unruhig ging Nail McMan in dem knapp fünfzig Quadratmeter großen Raum auf und ab. Der Beobachtungsraum an der Spitze des Hirli zwischen dem imitierten Matterhorn und der Spitze des Monte Rosa war während der Nachtperioden der Stadt erbaut worden. Die Bergspitze war stets nur eine Kulisse gewesen. Die Gebäude mit dem Skilift und dem Höhensanatorium lagen tausend Meter weiter am Rande des Monte-Rosa-Plateaus.
    Nail McMan hatte Zeit zum Nachdenken gehabt. Die Dunkelheit und die Einsamkeit seines Gefängnisses machten ihn reifer. Selbst die Tatsache, daß er erst kürzlich im Traumatikum behandelt worden war, konnte ihn jetzt nicht mehr daran hindern, die schwebende Stadt so zu sehen, wie sie wirklich war: als kurze Übergangslösung in der langen, wechselhaften Geschichte der Menschheit.
    Er wußte nicht, was sie mit ihm vorhatten. Langsam machte er sich mit dem Gedanken vertraut, daß auch er jetzt ein Ausgestoßener war. Schon in wenigen Wochen würden die ersten Anzeichen der Strahlenkrankheit sichtbar werden, und dann würde der langsame, schleichende Verfall seines Körpers beginnen.
    Nail McMan blieb stehen. Ein langes, stoßweises Aufseufzen kam aus seiner Brust. Er schlug die Hände vor seine Augen und beugte den Kopf nach vorn. Er wußte, daß sie ihm Zeit ließen, sich mit seiner neuen Situation abzufinden. Er mußte lernen, wie ein Lepra-Kranker zu denken und zu fühlen, und niemand konnte ihm dabei helfen.
    *
    Von Fieberträumen geschüttelt wälzte sich Kilian de Fries von einer Seite auf die andere. Was die Häscher Dr. Raganos nicht mehr geschafft hatten, war durch den Einschlag des Meteors vollendet worden. Die Gruppe der Tafelrunde existierte nicht mehr. Die Toten und Verwundeten waren sofort nach Palmyra gebracht worden. Neben der Gruppe der jungen Verschwörer hatte der Meteor mehr als drei Dutzend andere Bewohner der schwebenden Stadt erwischt. Bei Einbruch der Dunkelheit gaben die behandelnden Ärzte die ersten achtzehn Todesopfer an die Transplantationsbank ab. Auch die Pathologie erhielt einige Überweisungen – ehemals menschliche Körper, die nicht mehr weiter verwendet werden konnten.
    Urplötzlich erwachte Kilian de Fries. Er richtete sich ruckartig auf und sah sich um. Kabel und Schläuche führten von seinem Körper zu einer glitzernden Überlebensmaschine. Kilian de Fries verspürte keinen Schmerz. Auf der anderen Seite des Raumes entdeckte er Jan van Sonar. Der Bioklimatologe saß vollkommen angekleidet auf dem Rand seines Bettes. Er trug den linken Arm in einer Schlinge und starrte teilnahmslos vor sich hin. Kilian erkannte, daß sie Jan van Sonar mit Drogen vollgepumpt hatten.
    »Jan«, krächzte er heiser, doch der Bioklimatologe bewegte sich nicht. »Jan – wo ist Mona?«
    Ein heißes Kribbeln rann über Kilians Rücken. Er fühlte sich plötzlich leer und leicht. Und dann sah er, daß er keine Beine mehr hatte. Mit einem gellenden Aufschrei fiel er zurück. Sein durch Medikamente betäubter Körper bäumte sich auf. Der Schock war derartig stark, daß Kilian de Fries durchdrehte. Seine Arme schossen nach vorn. Mit einer einzigen, ruckartigen Bewegung riß er die künstlichen Nabelschnüre aus seinem Körper. Die Traubenzuckerlösung aus dem Tropf perlte auf den glatten, sauberen Boden und bildete häßliche Pfützen vor dem Bett von Kilian de Fries. Gleichzeitig spielten die Skalen und Meßgeräte an der Überlebensmaschine verrückt. Ein gellendes Aufheulen alarmierte die
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