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Diamantenschmuggel

Diamantenschmuggel

Titel: Diamantenschmuggel
Autoren: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer
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Im Kerker
    Abschluss und Höhepunkt der Stadtrundfahrt durch London war der Besuch im Tower. Justus fröstelte, als er mit seinen Freunden Peter und Bob, zwei Dutzend anderen Touristen und ihrem Führer im Bloody Tower stand, einem runden Monstrum aus dicken, kalten Mauern.
    »Hier haben die berühmten Gefangenen, die im Tower eingesperrt waren, ihre letzten Tage zugebracht«, verkündete der kleine dicke Mann mit dem spiegelblanken Schädel, der in seiner dunkelgrauen Uniform mit silbernen Knöpfen und Schulterspangen aussah wie ein Operetten-General, dem die Mütze abhandengekommen ist. Seine blecherne Stimme dröhnte in dem Gemäuer und klang doch ziemlich gleichgültig. Diesem Kerl macht das alles nichts mehr aus, dachte Justus und zog die Schultern hoch. Unwillkürlich sehnte er sich zurück nach Hause, nach Rocky Beach. Er sah auf die Uhr und malte sich den Sonnenaufgang über den Hügeln im Osten Kaliforniens aus.
    Justus seufzte. Statt daheim den Sommer zu genießen, stand er in diesem uralten Gefängnis und musste sich schauerliche Geschichten über arme Leute anhören, die vor vielen hundert Jahren in diesen Mauern auf ihr Ende gewartet hatten. Egal, ob sie wirkliche Übeltäter gewesen oder bloß einem dieser sonderbaren englischen Könige lästig oder gefährlich geworden waren.
    Ungerührt leierte der Führer die Namen der berühmten Insassen herunter. »Elizabeth von Schottland, hingerichtet 1554, vier Jahre zuvor Thomas Cromwell«, sagte er und wiederholte das Ganze auf Französisch, in einem gleichmütigen Singsang.
    Aus dem Bloody Tower gingen sie hinaus in den feuchten, grauen Dunst, der über der ganzen Stadt lag, und steuerten auf einen weiteren Turm zu. »Dieses Gebäude stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert«, verkündete der Mann. »An den Wänden sehen Sie noch, was die Gefangenen damals dorthin gekritzelt und gezeichnet haben.«
    Bob kniff die Augenbrauen zusammen und versuchte vergeblich, eine der verwitterten Inschriften zu entziffern. Wut stieg in ihm auf. Er erinnerte sich an seinen Geschichtsunterricht und daran, mit welcher Willkür in jenen Jahrhunderten in England Menschen eingesperrt und hingerichtet worden waren, oft ohne vorangegangenes Gerichtsverfahren. Und wenn es doch einen Prozess gab, dann waren nicht selten Zeugen bestochen und Geständnisse mit schrecklichen Methoden erzwungen worden.
    »Ich will raus hier«, sagte Justus plötzlich ziemlich laut.
    Einige der anderen Touristen direkt vor ihm drehten den Kopf zu ihm herum. Ein Mann in kurzen Hosen glotzte ihm direkt ins Gesicht. »Hat dich ja niemand gezwungen mitzukommen«, tönte er.
    Unruhe entstand und der Führer hielt einen Moment lang inne. Wortlos zeigte er auf ein Schild, das zum Ausgang wies. Dann fuhr er mit seinem Vortrag über die Geschichte eines der berühmtesten Gefängnisse der Welt fort.
     
    Vier Stunden später kamen sie müde und durchgefroren in ihrem Hotel an. Es lag in einer stillen Seitenstraße in Kensington, einem Stadtteil im Südwesten, und hieß Florida. Zwar gab es weit und breit keine Palmen, aber der Name erinnerte die drei ??? doch an ihre Heimat. Das schmale, hohe Haus hatte bestimmt auch schon eine Menge Jährchen auf dem Buckel.
    »Aber aus dem 13. Jahrhundert stammt es nicht«, tröstete sich Justus leise, während sie durch die holzgetäfelte Eingangshalle auf einen der zwei Fahrstühle zugingen. Er drückte auf den Knopf, um den Lift zu holen.
    Zwei ältere Damen gesellten sich hinzu. Schwestern, dachte Justus, vielleicht sogar Zwillinge. Beide waren weißhaarig, trugen graue Kostüme, randlose Brillen und Hüte mit lustig wippenden Pfauenfedern. Die eine stützte sich auf einen Stock, die andere, noch rüstigere, half ihr, indem sie ihren Arm hielt und sich überhaupt sehr um sie bemühte.
    Knatternd öffnete sich zuerst das Scherengitter und dann die Lifttür. Die drei ??? ließen den Damen den Vortritt. Im letzten Moment stellte ein großer, schlanker Mann mit braunen Locken und auffallend großer Fliege seinen Fuß in die Tür.
    »Würde gern mitfahren«, brummte er, stieg ein und drehte den anderen sogleich wieder den Rücken zu.
    Der Erste Detektiv drückte auf den Knopf für die vierte Etage. Mit einem leichten Ruck setzte sich der Aufzug in Bewegung. Justus wusste nicht, warum, aber vor seinen Augen erschienen die dicken Mauern des Bloody Tower.
    Ein paar Sekunden später saßen sie fest.
    Justus, der Aufzüge nicht besonders leiden konnte, weil er bei der Fahrt immer ein
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