Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
den Ring, den der Bürgermeister stolz am Finger getragen hatte. Auf ihm war das Wappen der Stadt eingraviert, eine Initiale, die wie eine Brille aussah und zu Weisheit und Vorsicht mahnen sollte.
    Der Anblick der trauernden Menschen, mit denen sie schon so lange in Nachbarschaft lebte, erfüllte Griets Herz mit tiefem Kummer. Wie würde Hanna es verkraften, wenn sie auf Frans stießen? Wie viele Wandbehänge würden sie aufrollen müssen, bevor sie seinen blutigen Leichnam fanden?
    Am liebsten wäre Griet fortgelaufen und in der Nacht untergetaucht, aber sie konnte Hanna unmöglich allein lassen. Warum bei allen Heiligen hatte Alessandro Farnese die Männer so hart bestraft? Gewiss, Osterlamm war kein angenehmer Mensch gewesen. Als eifernder Calvinist hatte er zugelassen, dass Kirchen und Klöster entweiht, Kunstwerke von großem Wert zerstört und missliebige Ordensleute aus der Stadt vertrieben worden waren. Kaum drei Jahre war es her, dass Osterlamm und seine Söhne bewaffneten Rebellen aus Gent die Stadttore geöffnet hatten. Diese hatten den alten Schöffenrat, der mehrheitlich aus Katholiken bestand, davongejagt und einen neuen eingesetzt, der jeder Entscheidung zustimmte, die Osterlamm traf. Ebenso hatte er das verhängnisvolle Bündnis mit den sieben nördlichen Provinzen und den Truppen des Rebellen Wilhelm von Oranien vorangetrieben. In den Augen des spanischen Königs galt das als unerhörter Verrat, der nun grausam bestraft worden war. Dennoch empfand Griet es als geradezu teuflisch, den gesamten Rat aus den Fenstern des eigenen Rathauses zu Tode stürzen zu lassen. In Wandteppichen, die aus den Manufakturen der Verurteilten stammten. Griet zitterte, als sie sich das listige Lächeln des neuen Statthalters in Erinnerung rief.
    Farnese war ein herzloses Ungeheuer, keine Frage. Er und seine Soldaten waren ebenso für Willems Tod verantwortlich wie für den der Ratsherren, und nun hatte er ihr auch noch den Schwiegervater genommen. Ohne ihn würde die Teppichweberei den nächsten Winter nicht überstehen.
    «Lass uns weitersuchen», bat Hanna Marx, die Griets Zögern bemerkt hatte. «Frans war mir viele Jahre lang ein guter Mann. Er verdient es, dass wir ihm die letzte Ehre erweisen.» Hanna hatte kaum zu Ende gesprochen, als sie sich mit einem Schrei an den Hals griff. Dann stürzte sie auf eine Gestalt zu, die bleich, aber unversehrt aus der Rathaustür trat, und fiel ihr laut weinend um den Hals.
    Es war Frans Marx. Er lebte.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 2
    Obwohl es schon weit nach Mitternacht war, brannten in der Wohnstube des Teppichwebers Marx noch alle Lampen. Griet und ihre Schwiegereltern hatten sich um den Eichentisch versammelt, an dem sonst nur sonntags oder an Feiertagen der Weberzunft gespeist wurde. Schweigend blickten sie auf die Schüssel mit kaltem Hammelfleisch, aber keiner rührte das Essen an. Zu tief saß allen der Schreck in den Gliedern. Hanna griff immer wieder nach der faltigen Hand ihres Mannes, als müsse sie sich davon überzeugen, dass sie auch kein Gespenst mit nach Hause genommen hatte. Wie alle war sie davon ausgegangen, dass Frans mit den anderen Ratsmitgliedern aus dem Fenster geworfen worden war. Von den Verurteilten hatte nur ein einziger, der Gewandschneider Hendryk van Porten, den Todessturz überlebt. Mit vielfach gebrochenen Gliedern war er in einer Karre fortgebracht worden; niemand wusste, wohin.
    «Ich bin zu müde, ich kann nicht mehr denken!» Sooft jemand die Sprache auf das Strafgericht brachte, wehrte Frans ab. Griet wollte den alten Mann keineswegs quälen, dennoch fiel es ihr schwer, ihre Neugier zu zügeln. Was mochte den Statthalter bewogen haben, Frans Marx zu verschonen? Hatte er mit ihm geredet? Oder eine Forderung gestellt?
    Eine Weile später, Hanna wollte schon aufstehen, um ihrem Mann in die Schlafkammer zu helfen, fing Frans doch noch zu sprechen an.
    «Zunächst dachte ich, der Statthalter wollte verhandeln», sagte er leise. «Er erkundigte sich nach unseren Geschäften und Familien, wollte wissen, wie lange wir in der Stadt ansässig seien und ob wir bereit wären, wieder die Messe zu hören. Aber damit konnte er mich nicht täuschen. Mir war klar, dass er den Schöffenrat vernichten würde. Und dann fing Osterlamm wieder an, herumzuschreien und auf Farnese loszugehen. Man hätte ihn nicht nur fesseln, sondern auch knebeln sollen. Ich habe nie zuvor einen Menschen so wüten gesehen. Als wäre der Leibhaftige persönlich in ihn gefahren.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher