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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern
Autoren: Guido Dieckmann
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Schöffenrat.
    Gegen Abend zündeten die Spanier Öllampen und Fackeln an, mit denen sie ihre Gefangenen in Schach hielten. Ihr Schein tauchte den Platz und das hohe, stolze Rathaus in ein mildes Licht. Einige aus der Gruppe begannen zu schwanken, sie konnten sich nicht mehr auf den Beinen halten. Doch sobald jemand auf das Pflaster sank, war ein Soldat zur Stelle, der ihn mit Lanzenstößen zwang, wieder aufzustehen.
    Griet presste die Lippen aufeinander. Wann immer die Wachen gerade wegschauten, schöpfte sie eine Handvoll Wasser aus dem Brunnen, um Basse trinken zu lassen. Wie so oft, wenn Griet unruhig wurde, spürte sie auch an diesem Abend ein unheilvolles Ziehen und Brennen in ihrem rechten Arm. Er hing schlaff an ihrem Körper herab, als gehörte er nicht zu ihr. Kein Wundarzt hatte ihr je erklären können, warum sie in ihm keine Kraft hatte. Nach ihrer Hochzeit war sie im ganzen Land umhergereist, um sich von gelehrten Männern untersuchen zu lassen, und war doch nur jedes Mal bitter enttäuscht nach Hause zurückgekehrt. Dann hatte Willem ihr verboten, weitere Heilkundige aufzusuchen. Er befahl ihr, sich damit abzufinden, dass ihr Arm verkrüppelt war. Also fügte sie sich in ihr Schicksal. Bei der Hausarbeit gingen ihr Mägde zur Hand, und ihre Pflichten im Ehebett konnte sie auch mit einem Arm erfüllen. Insgeheim war Griet jedoch die Befürchtung nie ganz losgeworden, Willem könnte sie wegen ihrer Behinderung nicht als vollwertige Frau ansehen, sondern lediglich als liebgewonnenen Gegenstand dulden.
    Bei dem Gedanken an Willem ließ Griet die Hand ihres Schwiegervaters los. Trotz ihres eigenen Unwohlseins entging ihr nicht, wie die Aufregung ihres Schwiegervaters wuchs. Sie musste an die zehn Männer denken, die ins Rathaus geschleppt worden waren. Dies war nun schon Stunden her. Offenbar waren sie als Geiseln ausgewählt worden, um der stolzen Bürgerschaft beizubringen, wer von nun an in Oudenaarde das Sagen hatte. Oder um mitzuteilen, wie hoch das Lösegeld war, das Farnese aus der Stadt herauszupressen gedachte. Reichte es Farnese, um seine Soldaten bezahlen zu können, kam die Stadt vielleicht glimpflich davon. Vorausgesetzt, die Ratsherren unterwarfen sich und benahmen sich nicht so verstockt wie Osterlamm. Als Griet diese Vermutung ihrem Schwiegervater zuflüsterte, traf sie ein leichter Rippenstoß, der sie gegen ihre Schwiegermutter prallen ließ.
    «Was soll das?», beschwerte sie sich bei der Frau, die sich mit ausgebreiteten Ellenbogen an ihr vorbeidrängte. «Könnt Ihr nicht aufpassen?» Die Frau mit dem groben Gesicht kam ihr bekannt vor, sie gehörte zu den Marktkrämerinnen, die vor der Lakenhalle, dem alten Gildehaus der Tuchmacher, oder am Fleischhaus Wurst auf langen Planken verkauften.
    «Ihr gehört doch zu denen, nicht wahr?», zischte die Frau. «Euretwegen versauern wir hier, und Gott allein weiß, ob die Spanier uns gehen lassen oder aber niedermetzeln wie die armen Teufel in Antwerpen. Ich war dort vor sechs Jahren, mittendrin in dieser Hölle aus Feuer und Tod. Ich weiß, wovon ich rede. Man sollte Euch einen Kopf kürzer machen, weil Ihr die Tore nicht früher öffnen lassen wolltet.»
    Griet holte tief Luft. Was fiel der unverschämten Frau ein? Sie wollte erwidern, dass das alles Hirngespinste seien und niemand etwas zu befürchten habe, der den Anordnungen der Spanier folgte. War es nicht ein gutes Zeichen, dass Alessandro Farnese seinen Söldnern die Erlaubnis zur Plünderung verweigert hatte, nachdem die Stadttore gefallen waren? Seither waren zwei Tage vergangen. Zwei volle Tage, in denen nicht eine Tür aufgebrochen worden war. Nachdem das spanische Fußvolk und die Reiterei das südliche Stadttor eingenommen hatten und in die Stadt eingedrungen waren, um Türme, Bastionen sowie das alte Kastell zu besetzen, hatten sie gleich darauf einen Boten losgeschickt. Er war durch die Hoogstraat, die Nederstraat und die Viertel am Hafen der Schelde gezogen, um den verunsicherten Bürgern von Oudenaarde zu verkünden, dass keinem etwas zustoßen würde, der in seiner Stube blieb. Lediglich ihre Musketen und Degen mussten sie vor die Tür werfen und sich ruhig verhalten.
    «Ihr Tuchmacher werdet mit den Spaniern verhandeln und dann Euren Geldsack öffnen, damit Eure Häuser und Kornspeicher verschont bleiben», ereiferte sich die Frau. «So ist das doch schon immer gewesen. Der Dukatensack regiert das Land. Aber was wird aus uns? Uns bleibt nur der Bettelsack, wenn wir nicht
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