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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern
Autoren: Guido Dieckmann
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auch Ratsherr der Stadt gewesen. Mittlerweile war er ein alter, gebrechlicher Mann. Griet konnte sich nicht vorstellen, dass die Spanier von ihm etwas wollten.
    Griet zog sich mit dem alten Mann zusammen vorsichtig unter das Vordach des Brunnens zurück, wo sie Schutz vor dem Regen zu finden hoffte. Griets Schwiegermutter Hanna hatte sich hier bereits einen Platz erkämpft. Bei ihr befanden sich Griets kleiner Sohn Basse sowie dessen Kinderfrau Beelken. Sie sahen mitgenommen aus. Kurz vor Tagesanbruch hatten vier Soldaten sie aus dem Haus gezerrt und unter Flüchen und Drohungen durch die Gassen gejagt. Die Söldner hatten sie nicht beraubt, waren aber auch keineswegs sanft mit ihnen und ihrer Habe umgesprungen. Frans Marx hatte einen Stiefeltritt in den Bauch abbekommen, weil er nicht schnell genug aufgestanden war, und Beelken, die es gewagt hatte, Basses Milchkrug hinter ihrem Rücken zu verstecken, hatten die Kriegsknechte das dünne Unterkleid mit dem Degen zerfetzt, bis Blut über ihren Bauch gelaufen war. Griet hatte in dem Durcheinander nur noch Zeit gefunden, ihre Witwenhaube vom Haken zu reißen und ihr langes, kupferrotes Haar darunter zu verbergen, bevor einer der Söldner auf sie aufmerksam werden konnte.
    Sie musste an ihren Mann Willem denken. Willem, einer der begabtesten Teppichweber Flanderns, hatte innerhalb seiner vier Wände zu heftigen Wutausbrüchen geneigt. Wäre er noch bei ihnen gewesen, hätte er sich den Kriegsknechten nicht kampflos ergeben. Mit bloßen Fäusten hätte er sich auf die Männer gestürzt, hätte auf sie eingeprügelt und somit das Todesurteil für die gesamte Familie unterschrieben. Zeit seines Lebens war er gedankenlos gewesen. Stark wie ein Bär und geschickt bei allem, was er anfasste, aber gedankenlos. Griet wusste nicht, ob sie dem Himmel dafür danken oder ihm zürnen sollte, dass er ihr in dieser Zeit der Not, des Krieges und Aufruhrs den Ehemann genommen und sie mit dem kleinen Basse allein zurückgelassen hatte. Und mit Frans Marx, der sich dicht an sie drängte. Auf Frans konnte sie nicht zählen; der Kummer um den Verlust seines einzigen Sohnes hatte ihn krank gemacht.
    Griet blickte sich um. Ihre Anverwandten standen zitternd beisammen und starrten sie an, als erwarteten sie ausgerechnet von ihr Trost. Warum von ihr? Sie war immer für schwach und kränklich gehalten worden, die Freunde ihres Mannes hatten sie als Edelfrau verspottet, die nicht zupacken konnte und daher als Meisterin in einer Manufaktur ungeeignet war. Weder Frans noch sein Sohn hatten ihr nach der Geburt des Kindes erlaubt, sich mit dem Handwerk zu befassen, obwohl sie mehr von der Kunst der Teppichweberei und dem Handel mit Verdüren verstand als die meisten Zunftgenossen. Auch ihrer Schwiegermutter war sie immer nur im Weg gestanden. Erst als Willem mit anderen jungen Männern auf die Stadtmauer geschickt worden war, hatte Frans ihr erlaubt, in den Auftragsbüchern nach dem Rechten zu sehen und sich bei den Webstühlen um alles zu kümmern, sodass die Produktion weitergehen konnte.
    Mit Begeisterung hatte sie sich in die Arbeit gestürzt. Seit sie als kleines Mädchen zum ersten Mal eine Manufaktur betreten hatte, liebte sie die Vielzahl bunter Garne, die Seide und die feinen Gewebe, die zur Herstellung von Wandbehängen verwendet wurden. Dann war Willem verletzt nach Hause gebracht worden, ein feindliches Geschoss hatte ihn am Kopf getroffen. Eine Weile hatte er noch gegen das Wundfieber gekämpft, doch nachdem der Priester gegangen war, der das Sakrament der letzten Ölung gespendet hatte, war Griet klar geworden, dass Willem sterben würde. Kurz nach seinem Tod fiel auch die Stadt. Den abschließenden Kampf um die Brücke, die Sprengung des Haupttores und den nur wenig später aufbrausenden Lärm vor ihren vernagelten Fenstern hatte Griet wie einen bösen Traum wahrgenommen. Während ihre Angehörigen durcheinandergeschrien hatten, war sie an Willems Sterbebett sitzen geblieben und hatte das blasse Licht der Totenkerze angestarrt. Es war von Anfang an töricht gewesen, auf den Bürgermeister zu vertrauen, der geglaubt hatte, die spanischen Truppen vertreiben zu können. Natürlich gab es noch einige Städte in Flandern und Brabant, die dem König Widerstand leisteten, aber diese verfügten über erfahrenes Kriegsvolk, Waffen und starke Befestigungsanlagen. In Oudenaarde verstand man sich auf Tuchmacherei und Kunsthandwerk, wie man Stadtmauern verteidigte, wusste niemand im
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