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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern
Autoren: Guido Dieckmann
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bezahlen können, was die Spanier verlangen.»
    Ein paar Leute, ihrer Kleidung nach Gerber aus den ärmeren Vierteln, nickten zustimmend. Erschöpft und verängstigt wandten sie sich nun gegen diejenigen, die sie für die Niederlage der Stadt verantwortlich machten. Dabei war der alte Marx stets bemüht gewesen, sich aus dem Streit der Parteien im Rat herauszuhalten. Er und seine Frau besuchten sonntags die Messe und hatten darauf bestanden, dass ihr Enkel in die Register der Sint-Walburgakerk aufgenommen worden war, obwohl sie insgeheim mit dem Glauben der Calvinisten sympathisierten. Marx hatte auch nicht dafür gestimmt, dass die Stadt dem Prinzen Farnese Widerstand leisten sollte, seinen Sohn hatte er nur widerstrebend auf die Mauern gehen lassen. Das alles schien in dieser Stunde der Not keine Rolle mehr zu spielen. Griet stockte der Atem, als zwei Soldaten sich einen Weg durch die Menge bahnten. Sie steuerten geradewegs auf Frans Marx zu und nahmen ihn fest, ohne auf Griets Protest zu achten. Jemand musste verraten haben, dass auch er zu den Ratsherren gehörte.
    Lange Zeit geschah gar nichts. Die Wartenden mussten weiter auf dem Platz ausharren, nach einer Weile erlaubten die spanischen Soldaten immerhin, dass ein paar Frauen Wasser aus dem Brunnen schöpften. Dann bemerkte Griet, wie sich mehrere Karren ihren Weg durch die Menge bahnten. Sie waren mit Wandbehängen beladen, deren Seidenfäden im Licht der untergehenden Sonne grünlich schimmerten. Vor dem Eingang sprangen Diener herbei, um die kostbaren Stücke abzuladen und ins Rathaus zu schaffen. Griet hielt die Luft an, als sie auch Bordüren aus der Manufaktur ihrer Familie erkannte.
    Hanna Marx stellte sich mit gefalteten Händen neben ihre Schwiegertochter. «Sie werden Frans und den anderen Herren doch nichts antun?», fragte sie ängstlich. «Der Statthalter ist ein vernünftiger Mann, das hört man doch überall. Er wird den Ratsherren ins Gewissen reden und sie dann entlassen, nicht wahr?»
    Griet gab eine ausweichende Antwort, die ihre Schwiegermutter aber zu beruhigen schien. Sie stellte keine Fragen mehr, die Griet ohnehin nicht beantworten konnte. Griet war froh darüber, denn sie befürchtete, dass die Stadt doch nicht so glimpflich davonkommen würde. Um die alte Frau abzulenken, fragte sie, was es mit den Wandbehängen auf sich hatte, die ins Rathaus gebracht worden waren.
    «Ich weiß es nicht», erwiderte Hanna. «Ich habe nur gehört, dass die Teppiche in der Kapelle des Spitals hinter dem Kloster St. Magdalena aufbewahrt wurden. Frans sagte, sie seien alles, was wir dem Statthalter bieten könnten. Die Verteidigung der Stadt hat den Rat mehr Geld gekostet, als wir dachten. Und Antwerpen und Gent blieben uns bis heute die versprochene Hilfe schuldig.» Ihre Augen füllten sich mit Tränen. «Ach, ich glaube, das Weib vorhin hatte nicht ganz unrecht. Hätten wir uns doch nur gleich ergeben und die Tore freiwillig geöffnet. Willem würde noch leben. Die Spanier sind zornig, weil sie so lange vergeblich gegen unsere Mauern angerannt sind und dabei viele ihrer Söldner verloren haben. Es war ein Fehler, sich gegen die spanischen Habsburger zu erheben, nur weil der Adel aus dem Norden seine alten Privilegien bedroht sah. Was haben wir mit denen zu schaffen? Wir sind nur einfache Weber und Tuchmacher.»
    Griet schluckte. Jetzt konnte sie für Frans und die anderen nur hoffen, dass der Statthalter sich ebenso für Wandteppiche begeisterte wie König Philipp. Mitten in ihren düsteren Gedanken erschien der Statthalter an einem der obersten Fenster des Rathauses. Er rief der Menge etwas zu, was Griet aber nicht verstehen konnte. Als Nächstes hörte sie einen gellenden Schrei und sah, wie etwas aufblitzte. Dann schoben mehrere Hände einen zusammengerollten Teppich aus dem Fenster. Als dieser sich plötzlich bewegte, ertönten mehrere Aufschreie. Zu ihrem Entsetzen erkannte Griet, dass die Spanier einen Mann in den Wandbehang eingerollt hatten. Hilflos musste er nun ertragen, Stück um Stück über die Brüstung hinausgeschoben zu werden.
    Barmherziger Gott, dachte Griet, als ihr klar wurde, was der Statthalter sich ausgedacht hatte. Sie sah, wie ein Seil um ein Teppichende gebunden und die Schlinge an einer der beiden Fahnenstangen unterhalb der Fensterbrüstung befestigt wurde. Wenige Augenblicke später baumelte der Mann hilflos und für jedermann sichtbar an der Fassade des Rathauses. Obwohl der in den Teppich Eingerollte nicht sehen konnte,
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