Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
worden, er war bei ihnen und konnte, sobald es ihm besser ging, wieder in der Manufaktur arbeiten. Das allein zählte, war es da noch wichtig zu erfahren, warum der Statthalter ihn hatte laufen lassen? Schon morgen früh, wenn die Sonne aufging, würde das alte Haus wieder zu atmen anfangen. Wie ein Kind freute sich Hanna darauf, in aller Frühe aufzustehen, um in der Speise- und Wäschekammer für Ordnung zu sorgen. Vermutlich würde Alessandro Farnese die Bürger zu Einquartierungen zwingen. Wenn sie keine Vorräte anlegten, würden ihnen die Spanier bis zum Winter die Haare vom Kopf fressen.
    Nachdem Hanna ihrem Mann geholfen hatte, sich ins Bett zu legen, rief sie Beelken und eine ältere Dienstmagd aus ihren Kammern, damit sie ihr trotz der späten Stunde halfen, die Stube aufzuräumen. Nichts sollte mehr an die vergangenen Stunden voller Angst und Schrecken erinnern. Hanna beschloss, diesen Tag einfach aus ihrem Kopf zu verbannen, als habe es ihn nie gegeben.
    Als Griet bemerkte, dass die junge Beelken sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, nahm sie ihr kurz entschlossen den Besen aus der Hand, schickte sie zu Bett und fegte die Scherben zerbrochener Schalen und Tiegel, welche die Eindringlinge rücksichtslos zu Boden geworfen hatten, allein auf. Niemandem war geholfen, wenn das Mädchen krank wurde, nur weil Hanna beschlossen hatte, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen.
    Beelken lächelte sie an. «Aber Frau Griet, schmerzt Euer Arm nicht zu sehr?», erkundigte sie sich mitfühlend. Griet schüttelte den Kopf. Der Anflug von Schmerz, den sie auf dem Marktplatz im Arm gespürt hatte, war längst vorbei. Nun fühlte er sich wieder taub und nutzlos an wie sonst auch. Doch zum Fegen genügte auch die linke Hand. Energisch fuhr der Besen über den Dielenboden. Beelken wünschte eine gute Nacht und verschwand in ihrem Zimmerchen, einer Abseite hinter der Küche, die sie mit Basse teilte. Der Junge schlief längst. Vor Erschöpfung waren ihm die Augen zugefallen, kaum dass Griet ihn ins Bett gelegt hatte.
    Als es im Haus endlich still war, zog sich auch Griet zur Nachtruhe zurück. Nachdenklich sah sie sich in den beiden Räumen mit den niedrigen, buntbemalten Holzdecken um, die sie gleich nach ihrer Hochzeit mit Willem bezogen hatte. Oft waren sie hier nicht allein gewesen. Solange Willem noch gelebt hatte, hatten sich bei Tagesanbruch Weber und Freunde, Dienstboten und Familienangehörige in der Stube eingefunden, um an langen Bänken ein gemeinsames Frühstück einzunehmen. Hier war gelacht und geschimpft, beratschlagt und sogar gefeiert worden. Basse hatte nach Milch geschrien, seine Großmutter über teures Fleisch, faules Gemüse und freche Krämerinnen geklagt. Zuweilen hatte Willem hier seinen Arm um Griets Taille gelegt und ihr versprochen, eines Tages ein eigenes Haus zu bauen oder vielleicht sogar in eine andere Stadt mit ihr zu ziehen. Nach Antwerpen oder Brügge, wo die Teppichweber auch nicht schlecht lebten. Griet schluckte bei dem Gedanken, so weitermachen zu müssen wie bisher und keinen Mann mehr an ihrer Seite zu haben, der ihr eine Zukunft versprach. Es graute ihr davor, morgen früh aufzustehen und festzustellen, dass alle ihr Leben weiterlebten.
    Griet fing an zu weinen. Es sah alles so trostlos aus. Frans würde neue Wandbehänge weben lassen, und Basse würde, so Gott ihn am Leben ließ, eines Tages das Handwerk erlernen und die Geschäfte übernehmen. Sie freute sich für ihn, gewiss. Aber sollte das alles sein, was ihr vom Leben blieb? Sich für andere zu freuen? Oder um andere zu zittern? War sie denn kein Mensch mehr mit Wünschen und Gefühlen? Die drückende Enge schnürte ihr die Kehle zu. Sie versuchte sich zusammenzunehmen, aber die Tränen wollten einfach nicht aufhören, über ihre Wangen zu laufen. Griet bemerkte, dass sie noch immer das trübselige Witwengewand trug, das nach Rauch und Aufruhr roch. Mitten in der Stube schlüpfte sie aus Kleid, Mieder und Strümpfen und stopfte alles ohne zu überlegen in das Ofenloch. Das Feuer war fast heruntergebrannt, flammte aber schnell hoch auf. Nackt von Kopf bis Fuß, das lange Haar offen über den Schultern, sah sie zu, wie ihr Kleid verbrannte. Dabei ließ sie die Hand über ihren Körper wandern, und als sie die verbotenen Stellen fand, schloss sie die Augen. Ihr Vater hatte sie früher immer als Schönheit bezeichnet, und sie hatte nicht daran gezweifelt, bis die Sache mit ihrem Arm geschah. Wirklich eitel war sie nie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher