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Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Titel: Die Stachelbeerstraeucher von Saigon
Autoren: Siegfried Zimmerschied
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sinnlicher Widerstand vor.
    So entschied er sich für Passau, einen niederbayerischen Ort jenseits der Hauptstädte, mit fast achtzig Prozent CSU , einer minderwertigkeitskomplexgeplagten Einwohnerschaft, zwei Brüdern, welche die Presselandschaft beherrschten, und einer übermächtigen Kirche.
    Und Passau erfüllte noch eine weitere wesentliche Eigenschaft.
    Diese Stadt und ihr Umland hatten eine gefährliche, prägende Schönheit, die Flucht nur als letzte Möglichkeit erscheinen ließ und so den fruchtbarsten und schöpferischsten Widerstand, nämlich den vor Ort, nährte.
    II .
    Als Zweites gab er dem kleinen Geschöpf, das am 7. Oktober 1953 in Passau das Licht der Welt erblickte, ein Elternpaar, wie es unterschiedlicher nicht sein könnte.
    Eine dialektische Spannung aus soldatischer Disziplin und anarchischer Kreativität.
    Jede dieser Eigenschaften ist für sich allein eine Sackgasse.
    Disziplin ohne Kreativität, das endet im äußersten Glücksfall mit vierten Plätzen bei Regionalmeisterschaften oder einem Schattenplatz auf dem Heldenfriedhof.
    Anarchische Kreativität ohne Gestaltungskraft, das schafft Geistheiler, renitente Stammgäste und nährt die Psychopharmakaindustrie.
    Im vorderen Teil der Lederergasse in Passau, dem besseren, dem, der der Kirche näher ist, der lange Zeit in der Hand von Passauer Beamtenwitwen war, dort lebte der mütterliche Teil der Verwandtschaft des Geschöpfs.
    Rottaler Bauern, die Beamte geworden sind.
    Das ist härter als Granit.
    Ein Stammbaum wie eine Panzersperre mit Ästen, die jeden Kirchturm überragen.
    Wurzeln zurück bis in die Gegenreformation.
    Bauer und Beamter, das ist ein Doppeldünkel.
    Mistgabel und Antragsformular, da passt keine Nachfrage dazwischen.
    Seine » vordere Oma « war zäh und hager, hatte einen Kropf, aß Kalbsbratwürstel, Haferschleimsuppe und Anisgebäck, schlürfte Kamillentee und aufgequollenen Leinsamen.
    Der » vordere « Opa war Kraftsportler, Vorturner am Reck, ein kreuzbraver Mann und Polizist.
    Und die Mutter.
    Lange rotblonde Haare, Schneewittchenblässe, Mondscheinprinzessin, Bildungsreisen, Dieter Borsche und Chippendale.
    Viel weiter hinten, in dem Teil der Lederergasse, der letztlich in den Friedhof mündet, im Fuchsengassl, einer winzigen Seitengasse mit grobem Kopfsteinpflaster, dort wohnten die » Hinteren « , die von » seiner Seite « , wobei die von » ihrer Seite « nie wohnen dazu sagten, sondern immer hausen.
    Fragen nach einem Stammbaum verloren sich in anfallartiger Arbeitsaufnahme, verschämtem Schweigen oder dem Vortäuschen von Hörfehlern.
    » Ja, da Opa, der is, glaub i, ausm Rheinland kemma. «
    Das war das Konkreteste, das lange Zeit über die Geschichte seines Großvaters väterlicherseits zu hören war.
    Viel später erfuhr das Geschöpf, dass er aus dem Ort Zimmerschied im Lahntal stammte, Maschinist in Köln gewesen war, Kommunist, und im Affekt seine erste Frau und seinen Nebenbuhler erschossen hatte.
    Nach der Haftentlassung kam er in die Gegend von Passau, lernte seine zweite Frau und damit die Großmutter des Geschöpfs kennen, erschoss sie nicht, hatte plötzlich Parteibuchnummer sieben der Passauer NSDAP -Ortsgruppe, und das geheime Waffenlager war hinter dem großelterlichen Doppelbett.
    Vom Kommunismus zum Faschismus, das geht, wenn die Sehnsucht nach einem geschlossenen Weltbild größer ist als die nach Inhalten.
    Ein Phänomen, dem das Geschöpf viele Jahre später in seiner Heimatstadt in der Person von Peter Seewald ein zweites Mal begegnete.
    Der war in den wilden Achtzigern ebenfalls Kommunist, Mitglied der Arbeiter-Basis-Gruppen, wurde Journalist, interviewte für den » Stern « den Papst, wurde vom Saulusblitz getroffen und ist heute Besitzer eines Klosterladens, sowie Biograph und persönlicher Vertrauter von Papst Benedikt.
    Auch vom Kommunismus zum Katholizismus ist es nicht weit, wenn man hintenrum geht.
    Die » hintere « Oma war aus Hauzenberg, einem bäuerlichen Ort im Bayerischen Wald, geflüchtet, Saisonbedienung, machte ohne Rezept, Mengenangaben und Garzeitentabellen phantastische Butterhendl und Rumlebkuchen, saß mit dem Rest des Lederergassenproletariats auf der Hausbank und lachte schriller, als zehn ungeölte Kellertüren quietschen.
    Und der Vater.
    » Hydrantenstenz « nannte ihn seine Frau, » domestizierter Gammler « eine Freundin der Familie.
    Fußballspieler, Marathonläufer, Kartenspieler und Komödiant.
    III .
    Wir schreiben das Jahr 1953.
    Ein deutsches
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