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Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Titel: Die Stachelbeerstraeucher von Saigon
Autoren: Siegfried Zimmerschied
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er hätte zweihundert Jahre alt sein müssen und eine medizinische Sensation dazu.
    Denn da gab es kein Organ, das nicht schon einmal entfernt wurde, und keine Krankheit, die er nicht überwunden hatte.
    Er hatte den Führer frisiert und war bedeutenden Menschen begegnet, die zu diesem Zeitpunkt nachweislich bereits tot waren.
    Aber es war bedeutungslos, selbst wenn nichts von dem, was er erzählte, je Wirklichkeit war, so war es dennoch wahr.
    Denn Emanuel war der erste Künstler, dem unser Geschöpf begegnete, und es lernte, dass der Wahrheitsgehalt einer Geschichte nachrangig ist zur Virtuosität der Erzählenden.
    Ach weißt du, Sigi, du hast ja so recht, wenn einer recht hat, dann du, ich sags immer wieder.
    Ich bin ja genau wie du.
    Diese alten Weiber, diese mistigen Tabernakelwanzen, muss ich schon sagen, und die Wahrheit muss man sagen dürfen, wer soll denn die Wahrheit sagen, wenn nicht wir.
    Immer auf die Kleinen.
    Immer soll man Generaldirektor werden, der einfache Handwerker zählt nichts bei diesen Herz-Jesu-Britschen.
    Ich wäre ja noch viel radikaler als du.
    Ich würde es mir auf die Brust schreiben und durch die Stadt laufen.
    Diese bigotten Betschwestern, immer » Grüß Gott, Herr Stadtpfarrer « , und dann schieben sie ihm die Weinflaschen hinten rein, diesem schwulen Ostpreußen.
    Das ist die Wahrheit, so wahr ich hier stehe, und maustot möchte ich umfallen, wenn das nicht die Wahrheit ist.
    Er fiel nicht tot um, ganz im Gegenteil.
    Er frisierte kurz darauf mit gleicher Emphase den noch Momente zuvor gescholtenen Stadtpfarrer.
    Sie sagen es, Herr Stadtpfarrer, nur das Alter, nur die Weisheit, die Weisheit des Alters, das ist das Fundament.
    Sie sagen es, ich könnte es nicht besser sagen, da bin ich genau wie Sie.
    Die Jugend hat doch keine Werte mehr.
    Mit vierzehn zeigen sie die Brüste und ficken wie die Karnickel.
    Verzeihen Sie, Herr Stadtpfarrer, Sie dürfen nicht ficken, aber das ist der Gerechtigkeitssinn in mir, da werde ich zur Apokalypse.
    Das ist die Wahrheit, das muss man sagen dürfen, und wer soll sie sagen, wenn nicht wir. Da bin ich wie unser Herr Jesus.
    Und ich wäre noch viel radikaler.
    Ich würde es mir auf die Handflächen brennen und über die drei Flüsse laufen.
    Das ist die Wahrheit, und maustot möchte ich umfallen, wenn das nicht die Wahrheit ist.
    Wenn er dann hinter seinen Kunden stand, die Effilierschere führte wie ein Shakespeareheld das Schwert und mit dem Kamm seine Phantasiekompositionen dirigierte, sich dabei im Spiegel betrachtete und vor Gerechtigkeit bebend zur Höchstform auflief, dann war er der King Lear von der Lederergasse.
    Sie haben völlig recht, Herr Generaldirektor.
    Ich könnte es nicht besser sagen.
    Dass Ihre Dogge dem Nachbarsdackel den Oberschenkel durchgebissen hat, das finde ich mehr als gerecht.
    Ich kenne die Dackel, wenn einer die Dackel kennt, dann ich.
    Dieses aufreizende, scheinbar friedfertige Flanieren von Handwerkerehepaaren mit ihren Dackeln, widerlich!
    Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn eine sensible Dogge durchdreht und diesem Köter den Oberschenkel durchbeißt.
    Schweine, alle sind Schweine, auch die Hunde, außer den Doggen.
    Nein, nein, Sie sagen es ganz richtig, Herr Generaldirektor, ich könnte es nicht besser sagen.
    Manchmal muss man eine Entscheidung treffen zwischen dem Menschen und dem Hund, und in Ihrem Fall entscheide ich mich als Mensch für den Hund.
    Der amerikanische Onkel hieß Dick, und es war eine türkisrosasilbergoldene Farbeninvasion in die Pastellfarbenwelt der Passauer Lederergasse, wenn es hieß: » D’Amerikaner kemman! «
    Ein riesiger goldfarbener Cadillac mit einem weißen Dach, sechsfachen Schlussleuchten und blinkenden Chromleisten hat aus der Lederergasse eine Einbahnstraße gemacht. Wie ein Magnet hat dieses Auto alle Halbstarken aus den Lederergassenhäusern gesogen und ein Staunen in ihre Gesichter gezaubert, wie es sonst nur Außerirdische vermögen.
    » Wia miaßn erst de Häusa von dene Menschen ausschaung, wenn de Autos scho so groß san!? «
    Onkel Dick.
    Freundlichkeit und Tod.
    Merry-Christmas-Karten und den Lederriemen als Erziehungsinstrument, Riesenbaby und Vietnamkrieger.
    So geschah es, dass er im Garten der » hinteren Oma « unter den gebannten Blicken der Kinder die Hand erhob, sie zu vibrieren begann, unterlegt mit einem leisen, aber singenden Pfeifen, das aus der Ferne zu kommen schien und immer bedrohlicher wurde.
    Plötzlich lief er los, auf die erschrockenen
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