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Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Titel: Die Stachelbeerstraeucher von Saigon
Autoren: Siegfried Zimmerschied
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der Mutter und der Tante Mela zu gefallen, denn die liebten keine Western und Piratenfilme, sondern lasen Bücher wie » Sinuhe der Ägypter « oder » Die Kartause vom Parma « und sahen sich Filme an wie » Ben Hur « oder » El Cid « , also Heroensagas mit historischem Hintergrund, bei denen ihr absoluter Liebling Charlton Heston am Ende entweder eine Erleuchtung bekam oder tot vom Pferd fiel.
    Da stand es nun in seinem selbst erfundenen Römerkostüm im Kindergarten als lächerlicher Fremdling in einem Kreis von Indianern, Zigeunerinnen, Cowboys und Matrosen.
    Warum er denn einen Weiberrock anhabe, fragten die kichernden Kinder das ebenfalls amüsierte Fräulein Schwester.
    Wieso er eine Strumpfhose und Sandalen trage und ein goldenes Nachthaferl auf dem Kopf habe?
    Und als dem Geschöpf dann die Erklärungen ausgingen und es die Erniedrigungen nicht mehr ertrug und mit seinem Laubsägeschwert einen ebenfalls unschuldigen, rachitischen Winnetou zusammendrosch, musste es zur Strafe noch eine Viertelstunde in der Ecke stehen, verloren wie Varus im Neuburger Wald.
    Da lernte es wieder viel.
    Erstens, es lebt sich furchtbar als Römer unter Metzgern.
    Zweitens, gegen Rotkäppchen und Cowboys helfen keine Worte.
    Drittens, die Mädchen gehen mit den Siegern heim.
    Ein Viertes lernte es, als es dann doch einmal ein Mädchen nach Hause begleitete.
    Ein Auto überholte sie.
    Das Mädchen zuckte zusammen.
    Das sei ihr Vater gewesen, ein Hypochonder, das Geschöpf könne sie jetzt nicht alleine lassen, es müsse sie ins Haus begleiten, sonst gebe es ein Unglück.
    In der Bibliothek roch es nach Gesamtausgaben und Melissengeist, auf einem thronartigen Sessel saß in Decken gewickelt mumiengleich der Vater des Mädchens und sah das Geschöpf an wie eine Schildkröte.
    Eine Stimme, als wäre sie von Bernhard Minettis unbegabtem Bruder, erfüllte den Raum.
    Es ginge doch ins humanistische Gymnasium, erinnerte der Vater das Geschöpf an seinen Bildungsstand.
    Das Geschöpf nickte.
    Dann kenne es doch sicher die griechische Dreiteilung der Liebe.
    Eros, Sexus und Agape.
    Das Geschöpf nickte erneut, und das bereits ebenfalls mit dieser schildkrötenhaften Halsstarrigkeit.
    Und es sei ihm doch klar, dass für seine Tochter nur die Agape infrage komme.
    Das Geschöpf nickte ein letztes Mal, so wie es auch das letzte Mal war, dass es ein Mädchen nach Hause brachte.
    VI .
    Über derartige Niederlagen führte der Schöpfer sein Geschöpf zur Bergpredigt.
    Und er ließ es den gesamten Kreuzweg gehen.
    Ministrant, Lektor, Pfarrjugendführer, katholische Jugendarbeit, diese ganze bayerische Mischung aus Pfänderspielen, kalter Kotze und Transzendenzerfahrung.
    In einer » gemischten Runde « mit einem Ständer in der Hose einen Adventskalender basteln.
    Als Jugendvertreter im Pfarrgemeinderat mit zehn Siebzigjährigen acht Wochen lang darüber diskutieren, ob das neue Gebetsbuch jetzt » Lob Gottes « oder » Gottes Lob « heißt.
    Nach einem ökumenischen Fruchtsäftemixen die Sakristei vollkotzen und als Leadsänger bei den rhythmischen Messen mit strahlendem Offenbarungsgrinsen in der erlösungskündenden C-F-G7-C-Akkordfolge » Und sie schlugen Ihn ans Kreuz « singen.
    Bis das Geschöpf erkannte, dass der ganze Katholizismus eigentlich gar nicht so wichtig war, er war einfach nur da, wie eine große metaphysische Kreissparkasse.
    So mächtig, aber letztlich auch genauso langweilig.
    Man kam ihm nicht aus, man fraß ihn in sich hinein, er drückte und blähte in den Gedärmen, und große Teile der Kindheit und Jugend bestanden darin, einen Platz zu finden, an dem man ihn wieder loswerden konnte.
    In einem einzigen, riesigen, apokalyptischen Weihrauchschoaß.
    Der Katholizismus.
    Aber der Schöpfer hatte sein Geschöpf getränkt mit der Droge der Bildhaftigkeit, der Inszenierung, der Gleichnisse und Chiffren.
    Und er wusste, das alles würde dem Geschöpf eine große Hilfe sein auf seinem Weg durch ein Leben, an dem es immer wieder verzweifeln wird.
    Denn mit den Instrumentarien der Irrationalität werde es ihm gelingen, jede Verzweiflung mittels Wut in sinnliches Kabarett zu transformieren.
    Und die Sehnsucht danach besteht von Schöpfungsanbeginn bei allen Menschen, vornehmlich denen, die auserwählt waren, einmal sein Publikum zu sein.
    VII .
    Als Letztes, bevor er das Geschöpf in die Welt des Kabaretts entließ, schenkte ihm Gott die Gewissheit, dass Ironie in ihrer gelebten Form ein lustvolles und zugleich konfliktlösendes
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