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Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Titel: Die Stachelbeerstraeucher von Saigon
Autoren: Siegfried Zimmerschied
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dunklen Augen sah und seine kräftigen Strampelwaden umfasste.
    10,8 – 190 – 89 – 90 – 60 – 90.
    Das waren die Koordinaten.
    Eindeutig ein Sprinter, 10,8 auf hundert Meter, 1 Meter 90 im Hochsprung und das entscheidende Tor in der 89. Minute in der B-Klasse Passau gegen den SV Jandelsbrunn, einen Bauernverein, gegen den der Vater mit seinem hochgelobten Stadtclub nie gewinnen konnte.
    Und jede Menge attraktiver Verehrerinnen, die dem fülligen Haar und den dunklen Augen verfielen.
    Es hätte etwas Adeliges im Blick, Direktor könnte es werden, wenn nicht gar ein Oberst, kündete die zweite Tante, deren große Liebe im Krieg gefallen war.
    Du warst so treu,
    du warst so gut,
    fürs Vaterland gabst du dein junges Blut.
    So stand es auf dem Sterbebild.
    Sie war nun mit ihrem zweiten Mann, einem Metzger, verheiratet.
    Dieser hatte für das Würzen einer Lyonerwurst nur aufgrund hinterhältigster Intrigen seiner Metzgerkollegen keine Medaille bekommen.
    Auch eine Niederlage.
    Sie war, der Sage nach, Chefbedienung im Passauer Ratskeller gewesen und hatte angeblich dem Führer einmal eine Suppe serviert.
    Sie roch nach Kernseife und war bei bereits der kleinsten Etiketteverfehlung » erschüttert « , wobei sie auf dem » sch « zischend und Druck aufbauend verweilte, um dann die Endsilben wie letzte Abmahnungstorpedos in die Runde zu schleudern.
    Es war vor allem diese gestrenge Tante namens Mela, welche die mentale Erziehungshoheit übernahm und somit in dem Geschöpf die erste und fundamentale Überlebenseigenschaft eines Kabarettisten stärkte, nämlich Einsamkeit zu ertragen durch die Kommunikation mit sich selbst.
    Auf ihr Anraten hin wurde das Geschöpf, immer wenn es über Gebühr zu schreien oder zu weinen begann, ins Schlafzimmer gebracht, wo es niemanden mehr störte.
    Tante Mela wies darauf hin, dies sei gut für die Disziplin und die kleinen Lungenflügel, die dadurch ebenfalls gestärkt würden, und das Geschöpf würde ihr später einmal, wenn es Generaldirektor sei und die großen Empfänge geben müsse, sehr dankbar sein dafür.
    Im Schlafzimmer schrie es, bis es blau wurde im Gesicht, und begann, als dies alles folgenlos verhallte, sich mit sich selbst zu beschäftigen.
    Und es entdeckte sehr früh eine nicht enden wollende Geschichtensehnsucht in sich.
    Wenn Besuch im Hause war und wildes Palaver die Räume erfüllte wie Drogenduft, dann schlich es leise aus seinem Kinderzimmer, legte sich vor die Küchentür und lauschte den Geschichten.
    Eingerollt wie eine Katze fand man es auf der Türschwelle liegend, wenn der Schlaf wieder einmal stärker war als die Kraft der Stimmen und Geschichten.
    Damals schon, als man es ins Bett trug, war die Freude über seine Geschichtensucht verhaltener als die Sorge darüber, dass es jene womöglich weitererzählen könnte.
    Und es waren die ersten Feindbilder geboren.
    Herrschsüchtige Tanten und verriegelte Schlafzimmer.
    Bis zum heutigen Tag keimt in dem Geschöpf immer wieder der Verdacht auf, es habe vielleicht nur deshalb den Weg auf die Bühne gewählt, weil es nicht ins Bett gehen wollte.
    Wenn das Schreien allerdings gar nicht enden wollte, bekam Tante Mela tiefe Sorgenfalten.
    Und als das Geschöpf Jahre später als Kind in einem weiteren sublimen Notwehrakt alle Kripperlfiguren mit Lametta am Christbaum erhängte, und zwar alle, auch das liebe Mohrle mit dem Weihrauchfass, meinte sie, das Kind müsse unbedingt zum Psychologen, sonst werde das nichts mit dem Oberst.
    Man müsse dann womöglich froh sein, wenns zum Lehrer reicht.
    Oft lösten sich diese Wolken über dem Kinderwagen dadurch auf, dass das Geschöpf zu schreien und zu pfurzen begann und die Betrachter sich die Lebenspläne des Säuglings gegenseitig um die Ohren schlugen.
    Wenn die » hintere « Oma mit dem Satz » Schreit, kracht und stinkt, des wird doch a Oberst « alle hehren Pläne unterlief, brach eine Empörungs- und Rechtfertigungswelle los, die das Geschöpf in Ruhe weiterstrampeln ließ.
    Eine Technik, die es später noch im Gymnasium und etlichen Ermittlungsverfahren wegen Gotteslästerung und Beleidigung des Staates erfolgreich anwandte.
    IV .
    Als Nächstes galt es, die Geschichtensucht und die Spielfreude seines Geschöpfs zu nähren, und so schenkte der Weltenerbauer seinem Auserwählten einen Egerländer Friseur und einen amerikanischen Onkel.
    Emanuel, der Friseur, war ein begnadeter Geschichtenerzähler.
    Wenn alles, was er je erzählte, der Wahrheit entsprochen hätte,
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