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Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Titel: Die Stachelbeerstraeucher von Saigon
Autoren: Siegfried Zimmerschied
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Kinder zu, sauste mit seinen Handflächen über deren Köpfe.
    » So hoben sie gemocht, de Raketen von die gelben Deifel, irgendwann auf die Nocht sind sie gekommen, und da war ganz hell der Himmel über Saigon, und dann, äh … «
    Onkel Dick ließ sich dann meistens auf den Gartenboden fallen und rollte sich die kleine Holztreppe hinunter, welche den Vor- mit dem Gemüsegarten verband, um unter vernichtenden Maschinengewehrsalven jämmerlich zu Tode zu kommen.
    Um gleich wiederaufzuerstehen in imperialem Glanze und weiter von der Größe und der Mission Amerikas zu künden.
    » Aber am nächste Tag haben wir gesucht de gelbe Deifel, de dreckige Charly, und san nei in de Dschungel. «
    Dann ahmte er Vogelstimmen nach und schlang seine Hände um die Kinder, als wären es giftige Schlangen.
    » De konnte überall sei, de Schlitzauge.
    De sieht man nicht.
    De hod keine Farbe, de dreckige Vietcong. «
    Nach einem kurzen, von atemloser Spannung getragenen Moment brach das Inferno los.
    Wenn dann die feindlichen Flugstaffeln zwischen dem Kloster Mariahilf und dem Dom, also direkt über Omas Garten, waren und alle den gelben Dschungelmonstern schutzlos ausgeliefert, dann hat sich Onkel Dick in den Gemüsegarten gehechtet, ist an den Salatköpfen vorbei in Richtung gelbe Rüben gerobbt, am Sellerie vorbei, und hat noch ein paar hinterhältige Vietcongs umgemäht, die sich hinter den Stangenbohnen versteckt hatten.
    » Fahrt zu die Deifel, du dreckige Charly « , brüllte er dabei, und dann tobte die Entscheidungsschlacht.
    Er warf sich mit einem Tarzanschrei in den Schutz der Stachelbeersträucher und holte mit den Abwehrflaks, die aus abgebrochenen Spatenstielen bestanden, die gelbe Brut vom weiß-blauen Himmel.
    Und wenn er dann mit ein paar unerheblichen Kratzern aus den Stachelbeersträuchern wieder aufgetaucht ist, brach ein frenetischer Jubel unter den Kindern aus, und manchmal haben die Nachbarn aus ihren Fenstern heraus mitgeklatscht.
    Die » hintere« Oma allerdings hat die zerstörten Stachelbeersträucher wieder zurechtgeschnitten und saß dann ganz still auf der Hausbank, die gelben Rüben in der Hand, die in Saigon zertreten worden sind, obwohl sie der Opa ausgesät hat, um Stalingrad zu vergessen.
    Und so wurde unser Geschöpf zum Pazifisten.
    Nicht wegen Nixon, dem Vietcong, Franz Josef Strauß oder den Notstandsgesetzen, sondern wegen den zertretenen Stachelbeersträuchern von seiner » hinteren« Oma.
    Onkel Dick rettete allerdings nicht nur jeden Tag eindrucksvoll die Welt, er vermittelte auch auf seine ganz eigene Art und Weise dem Geschöpf die Kunstform des Minidramas und somit auch die Fähigkeit, komplexeste dichterische Formen auf eine populäre Vermittlungsform zu reduzieren.
    Die kunstbeflissene Tante Gisi nahm den amerikanischen Schwager einmal mit zu einer Veranstaltung der Europäischen Wochen in Passau.
    Auf dem Programm stand » Don Carlos « von Friedrich Schiller.
    Als ihn die »hintere« Oma fragte, wie es denn nun gewesen sei, dieses » Don Carlos « , brachte Onkel Dick das Schillersche Werk auf eine unvergessliche texanische Kurzformel.
    Er stieg auf das Kanapee, stieß sich pantomimisch mit dem Ausruf » Don Carlos, äh … « ein Messer in die Brust und ließ seine zwei Zentner auf die Sprungfedern des Kanapees krachen, sodass sich Staub und Milbenwolken in der Küche ausbreiteten, als wäre es Entlaubungsnebel.
    Alle lachten, und die » hintere « Oma wandte sich weiter ihren Rohrnudeln zu, in ihrer Überzeugung bestätigt, dass » des Don Carlos do « doch wohl nur ein ziemlicher Krampf gewesen sei.
    V.
    Dann allerdings war es an der Zeit, dem Geschöpf die ersten Prüfungen zu schicken, auch um es mit den zu erwartenden Folgen seiner Fehlverdrahtung zu konfrontieren und seine Widerstandskräfte zu fördern.
    So ging es im Jahre 1959 als Römer auf einen Passauer Kinderfasching.
    In einer Zeit, in der es eigentlich nur Metzger, Matrosen und Cowboys gab.
    Das Bundesverwaltungsgericht genehmigt die Ausrüstung der Bundeswehr mit amerikanischen Atomwaffen.
    Die jüdische Synagoge in Köln wird schon wieder mit Hakenkreuzen beschmiert.
    Der Bayerische Rundfunk sendet den ersten » Komödienstadel « .
    Alle sind schon wieder gleich verkleidet.
    Fasching kommt von Faschismus, ist nur lustiger.
    Romy Schneider und Alain Delon geben ihre Verlobung bekannt, und im Passauer Stadttheater wird der » Bettelstudent « gegeben.
    Möglicherweise kam das Geschöpf auf diese unheilvolle Idee, um
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