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Hannes - Falk, R: Hannes

Hannes - Falk, R: Hannes

Titel: Hannes - Falk, R: Hannes
Autoren: Rita Falk
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    Heute ist der Jahrestag. Es ist auf den Tag und die Stunde genau dieselbe Zeit. Es hat sich gejährt, mein Freund. Mein lieber Freund, Hannes. Es ist die Stunde, in der ich in deinem Blut und Urin knie, und dein Kopf ruht auf dem kalten Asphalt, gefühlte Ewigkeiten lang. Ich sehe das Blaulicht und höre die Sirenen. Die vielen Menschen um uns rum. Schließlich der Rettungshubschrauber. »Verdammte Scheiße«, aus deinem blutenden Mund. Danach schließt du die Augen, wenn auch nicht ganz, ein winziger Spalt bleibt offen. Ich bücke mich tief über dich und kann deine Augäpfel sehen. Irgendwelche Hände zerren auf einmal an mir. Andere greifen nach deinem leblosen Körper. Dein Blut läuft langsam in den Rinnstein und nimmt mein Herz mit sich. Beides verliert sich in der Ferne.
    An die nächsten Wochen habe ich kaum Erinnerungen. Ein dröhnender Schmerz lag auf mir wie Blei. Dann habe ich angefangen, dir zu schreiben, Hannes. Ich habe dir mein Leben niedergeschrieben, und das hat mir geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Viele der Zeilen hätte ich dir gerne erspart, mein Freund. Anderes wieder ließ meine Finger in Ekstase zucken bei jedem einzelnen Wort. Nun ist es an der Zeit, mich von den Briefen zu trennen, und ich übergebe sie heute in tiefer Dankbarkeit. Sie haben mein Leben gerettet.
    ***
    Ich muss das hier jetzt niederschreiben, weil ich einfach mit niemandem darüber reden kann. Ich schreib es aus Wut und Enttäuschung. Eine riesige, unbeschreibliche, abartige Wut, kann ich dir sagen, Hannes. Ich hab geglaubt, wenn sie dich erst mal aus den Verbänden schälen, ist alles wieder wie früher. Dann stehst du aus deinem Bett auf wie Phoenix aus der Asche und wir wandern Seite an Seite die Gänge entlang und schnurstracks dem Ausgang entgegen. Aber das ist nicht passiert. Es ist überhaupt nix passiert. Du liegst da genau wie zuvor und bewegst noch nicht mal deinen kleinen Zeh. Liegst da, mit all deinen Schläuchen und Apparaten und rührst dich nicht. Du bist nicht tot und nicht lebendig, nicht Ebbe, nicht Flut, einfach verschollen zwischen den Gezeiten. Und ich sitz auf der Fensterbank in deinem Krankenzimmer und schau in die alte Kastanie hinaus. Ich hab so eine Wut auf dich, dass ich dich noch nicht mal mehr anschauen mag. Hab dich dann auch nicht mehr besucht (hast du wahrscheinlich eh nicht gemerkt). War die letzten zwei Tage nicht aus dem Haus und hatte keinerlei Kontakt zur Außenwelt.
    Irgendwann, nach vielen Stunden der Wut und Enttäuschung, schlägt dann plötzlich alles um, verlagert sich quasi. Die Wut verlagert sich von deiner Person auf meine. Mir wird langsam klar, dass nicht du schuld bist an meiner Enttäuschung, sondern ich bin es selbst. Dass ich mit meinem naiven Kleingeist tatsächlich geglaubt hab, wenn die Verbände erst weg sind, ist alles okay. Als hätten die dich daran hindern können, die Augen zu öffnen oder einen Ton von dir zu geben. Wie dämlich von mir! Ich fühl mich wie ein echter Idiot, und das stimmt mich nicht gerade fröhlich. War jetzt, wie gesagt, einige Tage nicht bei dir, mein Freund, und hab schließlichgemerkt, dass es dann noch viel schlimmer ist. Dass es mir noch viel schlechter geht, wenn ich daheim rumdümple und mir das Hirn zermartere. Dann sitz ich lieber auf deiner Fensterbank und schau in die Kastanie. Schau in die Kastanie und hoffe auf ein Wunder. Und allmählich begreif ich, dass es wohl tatsächlich ein Wunder sein muss, das dich wieder zum Leben erweckt. Ich kann dir nicht helfen und kann mit niemandem darüber reden. Ich kann mit niemandem reden, weil ich ja immer verkünde, dass jetzt alles gut wird. Dass es bergauf geht, weil du ein Kämpfer bist. Dass es bergauf geht, weil eben jetzt die Verbände weg sind. Ich erzähl von deinen Fortschritten und merke, dass du keine machst. Es ist zum Kotzen. Das Schreiben hier gefällt mir gut. Ich kann da meinen Frust ablassen, ohne dass es jemandem wehtut. Vielleicht sollte ich einfach alles aufschreiben, was so passiert. Damit du auf dem Laufenden bist, wenn du wieder funktionierst, mein Freund. Es soll ja Komapatienten gegeben haben, die sind irgendwann aufgewacht und hatten keinen Schimmer, was passiert war. Wenn ich es aber schreibe und du es später liest, weißt du Bescheid. Werde drüber nachdenken, mal sehen. Übrigens hab ich vorhin noch kurz mit deiner Mutter telefoniert. Hab aber leider nix verstanden, weil sie wieder so geweint hat. Na ja.
     
    Später: Hab mir gerade den ›Tatort‹
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