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Hannes - Falk, R: Hannes

Hannes - Falk, R: Hannes

Titel: Hannes - Falk, R: Hannes
Autoren: Rita Falk
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angeschaut und ’ne Pizza gegessen. Beides war nicht so toll. Im Grunde hab ich von beidem nix mitbekommen, weil ich an dich gedacht habe, Hannes. Weil ich dran denke, wie es wird, wenn du wieder zurückkommst. Wie es sein wird, wenn wir wieder zusammensitzen, der Kalle, der Rick, der Brenninger und wir zweihalt. Wenn wir ins Eisstadion fahren, um ein mieses Spiel zu sehen. Oder zum Baggersee und Steine floppen lassen. Wenn wir nächtelang unseren Urlaub planen und zu keiner Einigung kommen. Am Ende doch wieder nach Spanien fahren und dort wieder mal beschließen, im nächsten Jahr woanders hinzufahren. Wenn wir im Sullivan’s hocken und einfach ein paar Bier zischen. Das wird klasse, mein Freund. Im Moment sieht’s noch nicht danach aus. Im Grunde sieht’s eher beschissen aus. Ich sag das jetzt so, weil wir haben uns doch noch nie angelogen   – warum sollten wir jetzt damit anfangen? Heute ist der 26.   März, und es ist jetzt schon über sechs Wochen her, dass du ins Koma gefallen bist. Ich hab nun beschlossen, dir alles so aufzuschreiben. Damit du eben auf dem Laufenden bist, wenn du wieder klar bist, Hannes. Ja, das werd ich tun. Und morgen werd ich zu dir kommen, vor dem Dienst. Denn morgen beginnt mein Nachtdienst, der erste überhaupt.
    Irgendwie ist mir schon komisch, so allein mit all den Spinnern, aber andererseits ist es da vermutlich auch ruhiger. Hab jetzt die ersten Wochen als Zivi hinter mir, und ich kann dir sagen, die blöden Witze, die wir darüber im Vorfeld gemacht haben, waren beileibe nicht unberechtigt. Die Patienten oder Insassen, oder wie du willst, heißen in der Heimordnung und in der Heimbeschreibung »psychisch instabile Personen«. Die Heimordnung ist sowieso das Wichtigste hier. Die einzige Ordensschwester, Schwester Walrika (klein, dick, eine Stimme wie ein Nebelhorn und eine Zunge wie ’ne Natter, sag ich dir), achtet peinlich darauf, dass die Heimordnung penibel eingehalten wird. Die beiden Putzfrauen sind den ganzen Tag am Bohnern, Wienern und Polieren, und doch findetWalrika immer ein Stäubchen hier oder da. Wie ein Feldwebel, sag ich dir. Früher war das Heim ein Kindergarten, das Zwergennest. Wurde wohl irgendwie zu klein oder unmodern, keine Ahnung. Dann haben die Kinder halt was Neues gekriegt und hier haben sie das Heim reingemacht. Ich nenn es Vogelnest, weil die eben alle ’nen Vogel haben (hast du dir sicher selber denken können). Die Walrika hat vor ein paar Tagen meinen Stundenplan in der Teeküche gesehen, in den ich meine Arbeitszeiten reinschreibe; hab da groß draufstehen »Vogelnest«. Dafür wollte sie eine Erklärung und ich sag dir, ihr Tonfall hatte es in sich. Komischerweise hat sie nicht getobt, als sie meine Antwort hörte. Sie hat gesagt, sie glaube mir, dass ich das nicht gehässig, sondern liebevoll meine, das mit dem Vogelnest. Und drum findet sie den Ausdruck auch nicht so arg. Ich soll’s aber für mich behalten. Das hab ich auch getan, ich schwör’s. Aber trotzdem macht das nun die Runde, beim Personal und bei den Insassen, und alle lächeln dabei, irre nicht? Also wie gesagt, morgen ist meine allererste Nachtschicht und mir wurde gesagt, da sei es meistens ziemlich ruhig. Ich soll was zum Lesen mitnehmen und nur nicht einschlafen. Die Nachtschicht beginnt um sieben nach dem Abendessen und endet um sieben nach dem Frühstück. Werde also morgen so um fünf noch mal bei dir vorbeikommen und   – wer weiß   – vielleicht ist dann ein Wunder geschehen.
    Bis morgen. Uli
    ***

Dienstag, 28.03.
    War gestern natürlich wie versprochen bei dir. Deine Mutter war auch da. Diesmal hat sie nicht geweint, im Gegenteil. Als ich vorsichtig und leise ins Zimmer gekommen bin, ist sie von ihrem Stuhl aufgesprungen, dass der gleich nach hinten kippte und mit einem Riesengekrache zu Boden schlug. Ganz aufgeregt (ich vermeide absichtlich den Begriff hysterisch!) hat sie mir erzählt, dass du reagiert hast. Worauf, hat sie nicht gesagt. Sie hat nur immer wieder gesagt, du hast reagiert, und war ganz aufgeregt. Ich bin dann näher gekommen und hab dich angeschaut, konnte aber keine Veränderung feststellen. Du warst käsig wie eh und dein offener Mund hing kraftlos über dem Kinn. Die Unterlippe, durch einen Schlauch beschwert, wölbte sich nach außen und stand ab, als gehöre sie dir nicht. Deine Augenlider waren wie immer nicht ganz geschlossen, einen winzigen Spalt offen, und wenn man sich bückt, kann man deine Augäpfel sehen. Das ist unheimlich,
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