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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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nur das Chloroform sowie Nadel und Faden besorgt, sei aber an der Ausführung der Morde nicht beteiligt gewesen.« Da David nicht reagierte, lehnte sie sich nach vorne: »Hast du mich verstanden?«
    Nicken.
    »Helena hat dir vertraut, stimmt’s? Sie hat dich in die Wohnung gelassen. Genauso wie Justin Brandenburg.«
    Ein zufriedenes Lächeln trat auf seine Lippen.
    »Wie hast du dich dabei gefühlt, dieses Vertrauen zu missbrauchen?«
    »Diese Fragen haben keinen Sinn«, erklärte Myriam ruhig, wie sie seit dem Tag im Tunnel überhaupt eine unerklärliche Gelassenheit empfand. »Er wird sie nicht beantworten. Die Fakten interessieren ihn nicht.«
    Henri seufzte neben ihr.
    »Und auch wenn Hannah es mit Psychologie versucht. Es wird nicht funktionieren.«
    »Und du?«, fragte er. »Wie würdest du es versuchen?«
    »Ich weiß, wie er denkt«, murmelte sie.
    Henri starrte sie fassungslos an. »Du weißt also, wie er denkt? Sag mal, bist du jetzt völlig verrückt geworden? Absolute Hybris nenne ich das.«
    Myriam hatte in keinem Fall die Absicht, sich mit Henri zu streiten. Nein, fast empfand sie so etwas wie Demut ihm gegenüber. Die Angst, ihn zu verlieren, steckte noch tief in ihren Knochen.
    »Im Tiefsten meines Innern weiß ich, nach welchen Gesetzen er gehandelt hat«, erklärte sie ruhig.
    Die unerwartete Sanftmut in ihrer Stimme irritierte Henri. Er hatte mit einem Streit gerechnet, einer ernsthaften Auseinandersetzung, doch Myriam ließ sich nicht darauf ein.
    »Nach welchen?«, fragte er. »Nach welchen Gesetzen hat er denn gehandelt?«
    »Nach seinen eigenen«, erwiderte sie. »Oder hast du bereits vergessen: Er ist der Richter.«
    »Er ist sechzehn.«
    »Ja, genau. Und sein Kopf steckt voller verrückter Vorstellungen von sich und der Welt. Er lebt seine Ideen aus. Glaubt, diese könnten Wirklichkeit werden. Für ihn gibt es keine Trennung, keine Grenze zwischen Fantasie und Realität. Genau das macht ihn so gefährlich.«
    »Woher willst du das wissen?«
    Myriam zuckte mit den Schultern. »Es ist schwer zu akzeptieren, dass es keine Gerechtigkeit gibt, verstehst du? Es schmerzt und bleibt ein ewiger Stachel.Vor allem wenn du selbst zum Opfer wirst.«
    Auf dem Bildschirm bewegte sich etwas. David lehnte den Kopf im Stuhl zurück und schloss die Augen.
    »Wenn er sich entschließt, etwas zu sagen«, erklärte Myriam bestimmt, »wird er nicht lügen.«
    Henri starrte sie an. »Woher...«
    »Weil in seinem System, wie er denkt, wie er empfindet, wie er handelt, alles einen Sinn hat, verstehst du? Er braucht nicht zu lügen, nichts zu verheimlichen.«
    »Hattest du dort unter der Erde irgendeine Erleuchtung, oder was ist mit dir los?«
    Myriam schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, aber verstehst du nicht? Sein Vater hat den einzigen Menschen in den Tod getrieben, den er je geliebt hat.«
    »Seine Mutter.«
    »Ja. Was lag also näher, als ihm dasselbe anzutun?«
    Henri schwieg. Myriam konnte ihm ansehen, dass er zunächst nicht verstand, was sie damit sagen wollte, bis ein Ausdruck des Verstehens in sein Gesicht trat.
    »Er hat ihn bewusst in den Selbstmord getrieben?«
    Myriam erhob sich. »Schlimmer. Er hat ihn dazu verurteilt.«
    »Wohin willst du?«
    »Mit David sprechen.« Sie ging auf die Tür zu.
    Henri widersprach nicht, doch als sie in der Tür stand, fragte er: »Aber warum wollte er Paul Olivier umbringen?«
    »Genau das möchte ich ihn fragen. Aber Liebe und Hass, weißt du, liegen eng beieinander. Vielleicht war er einfach nur eifersüchtig.« Sie blieb einige Sekunden stehen: »Wenn ich ihn dazu bringe, mit mir darüber zu sprechen, dann können wir über uns reden. Ich glaube, dann kann ich mir endlich vertrauen.«
    Myriam gab Ron per Handy zu verstehen, dass sie den Raum verlassen sollten. Er widersprach nicht. Seit den Ereignissen trat man ihr mit einem neuen Respekt entgegen. Sie ging den langen Flur entlang bis zu dem Raum, hinter dessen Türen David darauf wartete, dass er endlich jemandem erklären konnte, nach welchen Gesetzen er, der Richter, hätte handeln müssen.
    Sie legte ein Blatt vor David hin, den schwarzen Füllfederhalter, mit dem er Kafkas Manuskripte nachgeahmt hatte, sowie das Tintenfass. Dann zog sie den Stuhl neben David, holte ein Buch aus ihrer Tasche, schlug es auf und begann mit leiser Stimme zu lesen:
    Liebster Vater, Du hast mich letzthin einmal gefragt, warum ich behaupte, ich hätte Furcht vor Dir. Ich wußte Dir, wie gewöhnlich, nichts zu antworten, zum Teil eben
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