Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
Vom Netzwerk:
Antwort kam mit Verzögerung. »Beschissen«, sagte er. »Es fühlt sich beschissen an.«
    Myriam kroch weiter. Sie streckte den Arm aus, bis ihre Finger den Steg gegenüber berührten. Aber noch war sie nicht am Ziel. Da vorne stand David. Sie hörte ihn schwer atmen. Wie lange konnte er durchhalten? Nur noch wenige Meter geradeaus, dann war sie neben ihm.
    Konzentriere dich. Bleib ruhig. Langsam. Vorsichtig. Und vor allem: Kein Geräusch!
    Myriam schaltete alles aus, was sie ablenken konnte, was ihr Angst machte, und die Tatsache, dass es ihr gelang vorwärtszukriechen, wenn auch nur schleppend und unter Aufbietung aller Konzentration und Kraft, überraschte sie selbst.
    Die Dunkelheit war plötzlich ihr Verbündeter. Sie fühlte sich sicher in der Schwärze um sie herum. Sie hörte Ron mit David reden. Undefinierbare Geräusche in der Nacht, zu denen sie keine Verbindung mehr spürte.
    David befand sich rechts von ihr. Sie fixierte die Stelle.
    Doch plötzlich, im äußersten Winkel ihres Blickfelds - ihr Bewusstsein ahnte es mehr, als dass sie es wirklich erkannte -, geschah etwas. Eine kaum wahrnehmbare Bewegung. Vielleicht auch nur ein Luftzug. Oder bewegte sich das Dunkel selbst? Der Kies unter ihr gab plötzlich nach. Sie rutschte tiefer. Steine rieselten. Ihr rechtes Bein stieß auf Widerstand.
    »Halt!«, hörte sie David rufen.
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ihr Puls raste.
    »Ratten«, schrie sie in die Dunkelheit. »Es sind nur Ratten, David. Sie rennen die Gleise entlang.«
    Doch unter ihr befand sich etwas anderes. Es war groß und weich. Es lag zwischen den Schienen, im Kies begraben. Gänsehaut überzog ihre Arme und Beine. Das Blut hämmerte ihr in den Ohren.
    Henri? Lag er hier unten?
    Sie sprang auf und rannte nach vorne. Die Dunkelheit schien keine Richtung zu kennen. Innerhalb weniger Sekunden war sie auf dem Steg. Ihre Hand fasste an die Mauer. Im Laufen spürte sie, wie die Haut endgültig weggerissen wurde.
    Drei Meter. Zwei.
    Da stand David und brüllte: »Stehen bleiben!«
    Es war die Gnade des Schocks, der sie handeln ließ. Und das Entsetzen. Die Wut, die hochstieg und die Angst verdrängte.
    Und - der Gedanke an Rache.
    Ihr Körper schnellte hoch, warf sich mit aller Kraft nach vorne, ihre Hände griffen in die Luft, und sie riss David an den Beinen nach unten. Spürte, wie er zu Boden ging.
    Er keuchte laut. Sein Atem ging stoßweise.
    Sie empfand große Befriedigung, als sie vor ihm stand und dachte, es sei vorbei. Dann spürte sie seine Hand, die sich an ihrem Bein festkrallte. Sie trat nach ihm, versuchte sich zu befreien, war überrascht von der Kraft, die er noch aufbrachte.
    Sie verlor das Gleichgewicht. Es gab keine Wand, an die sie sich klammern konnte. Unter ihr knirschte der Kies. Sie fiel mit dem Rücken nach hinten, der Kopf knallte mit voller Wucht auf die Eisenschienen, und sie verlor das Bewusstsein in dem Moment, als zahlreiche Lichtstrahlen in der Dunkelheit aufblitzten.

42
    Steine bohrten sich in ihren Rücken, und ein heftiger Schmerz umklammerte ihren Kopf wie eine Garotte, eine festgezogene Eisenklammer. Sie konnte nicht unterscheiden, ob sie die Augen offen oder geschlossen hatte, nahm das grelle Licht um sie herum wahr wie Blitze. Dann Füße, die über Kies liefen.
    Jemand schrie: »Verschwinden Sie hier.«
    Sie spürte Hände an ihrem Hals, ihrem Handgelenk, auf ihrer Brust.
    Sie stieß sie weg, warf sich von einer Seite zur anderen.
    »Puls ist da.«
    Über ihr im hellen Lichtnebel, durch den Staubkörner zu tanzen schienen, sah sie Gesichter, verschwommen wie auf einem flimmernden Bildschirm.
    Myriam schüttelte den Kopf, hatte keine Ahnung, dass ihre weit geöffneten Augen Ron anstarrten. Sie erkannte ihn nicht.
    »Wir dürfen sie nicht bewegen. Der Rücken.«
    »… ohne Krankenwagen.«
    »Wir müssen sie auf der Liege hinaustragen.«
    Sie versuchte sich aufzurichten.
    »Bleib liegen.«
    Energischer Druck auf ihre Schultern.
    »Henri.«
    »Ganz ruhig. Es geht ihm gut.«
    Ein Lichtkegel wanderte nach rechts zu einer Gestalt oben auf dem Steg. Ihre Augen folgten ihm. Langsam beleuchtete der Lichtschein Füße, Beine, Oberkörper, Gesicht. Es war Henri, er ruhte zurückgelehnt an der Wand und hielt eine Flasche an die Lippen, aus der er gierig trank. Wusste er, dass sie hier war?
    Erneut beugte sich Ron über sie. »Mach dir keine Sorgen, es geht ihm gut. Er ist nur erschöpft, sonst nichts.«
    Beruhigt schloss sie die Augen, um sie im nächsten Moment
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher