Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
Vom Netzwerk:
Licht der Taschenlampen erlosch.
    Myriam biss sich auf die Lippen und fühlte den Schmerz erst, als sie das Blut auf ihrer Zunge schmeckte.
    »Ich schätze, er steht circa acht Meter von uns entfernt. Auf der anderen Seite der Gleise«, flüsterte Ron.
    »Wenn wir gleichzeitig die Lampen auf ihn richten … vielleicht erschreckt ihn das Licht«, hörte sie den Beamten hinter sich sagen.
    »Das Risiko gehe ich nicht ein«, erwiderte Ron. »Gehen Sie zurück und sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen bleiben, wo sie sind. Zu viele Leute erhöhen seine Nervosität. Myriam du gehst mit zurück.«
    Sie gab keine Antwort, hatte sich im Dunkeln bereits ein Stück von ihm fortbewegt, in Davids Richtung.
    Ron rief laut: »David? Bist du das? Lass uns reden!«
    Doch als einzige Reaktion ertönte ein Lachen. Es klang heiter, geradezu erleichtert. Dann keuchte David schwer. Ein leises Röcheln war zu hören, gedämpftes, mühsam zurückgehaltenes Husten. Die Luft im Tunnel war zusammen mit der Anspannung, dem Stress, Gift für seine Lunge.
    »Du bekommst keine Luft«, rief Myriam. »Du kannst nicht lange durchhalten, David.«
    »Ich bestimme das Ende.«
    Würde er Henri wirklich erschießen? Erschrocken stellte sie fest, sie hasste ihn nicht, empfand vielmehr Mitgefühl, begriff seine Verzweiflung, die wie ein Geschwür in ihm wüten musste.
    Das Einzige, woran Myriam sich orientieren konnte, war die Tunnelwand rechts, wenn sie die Hand ausstreckte. Sie spürte den kalten, staubigen Beton unter ihren Fingern, die noch immer brannten. Unter ihr befand sich der schmale Steg, glatt und rutschig von der Feuchtigkeit, die sich im Tunnel angesammelt hatte. Links davon, gut einen halben Meter tiefer, der Kies, auf dem, wie sie fürchtete, jeder Schritt zu hören wäre. Dennoch ließ sie sich zu Boden gleiten.
    »Verdammt, Myriam«, fluchte Ron leise, der nun wieder neben ihr stand. »Ich dachte, du seist zurückgegangen! Was hast du vor?«
    Seine Stimme schien Meilen entfernt.
    Ihre Hände suchten nach der Kante des Fußstegs, und sobald sie diese spürte, umklammerte sie sie fest. Dann spannte sie die Muskeln und schob das linke Bein hinunter. Als ihre Fußspitze den Kies berührte, knirschte er leise unter der Ledersohle des Schuhs. Sie zog das Bein zurück. Das rechte Knie an die Brust gepresst, schwebte sie einige Sekunden über dem Boden, bis sie es wagte, den Fuß erneut auszustrecken. Er rutschte ab und klatschte auf den Kies.
    »Bleiben Sie, wo Sie sind!«, schrie David.
    Wieder schnellte das Bein zurück. Myriam beschloss, ihre Schuhe auszuziehen.
    »Myriam?« Ron klang nun hilflos, und sie erwiderte nichts. Stattdessen streifte sie die Socken ab. Nicht mehr als acht Meter in völliger Dunkelheit.
    »Gib mir deine Hand«, flüsterte sie Ron zu. Er hatte aufgegeben. Sie fühlte seinen Arm und umklammerte ihn, ließ sich mit seiner Hilfe nach unten gleiten. Kurz darauf fühlte sie das kühle Gleis unter den nackten Füßen, die rasend schnell kalt wurden. Ihre Zehen klammerten sich fest und versuchten, auf dem feuchten Metall Halt zu finden. Dann setzte sie erneut den Fuß auf den Kies, der diesmal nur leise nachgab. Zentimeter für Zentimeter bewegte sie sich auf Händen und Knien vorwärts. Auf den rutschigen Steinen kam sie nur schwer voran. Und jedes Geräusch in der Dunkelheit schien unendlich laut. Daher schrak sie zusammen, als sie Rons Stimme hörte.
    »Was willst du, David? Was sollen wir tun?«
    »Nichts. Ihr sollt nur begreifen, wie weit meine Macht reicht.«
    Myriam schaffte erneut wenige Zentimeter. Die Steine unter ihren Händen bohrten sich in die Haut. Ein leises Rieseln erklang. Sie stoppte.
    »Wir können reden.« Wieder Ron.
    David lachte.
    Noch immer hatten sich ihre Augen nicht an die Finsternis gewöhnt, und das Gefühl von Klaustrophobie nahm zu. In diesem Moment streifte etwas ihre Hand. Etwas Großes, Schweres. Es lief über ihre Finger. Sie fühlte die kleinen Füße auf ihrer Haut. Ratten?
    Ein Schrei stieg ihr in die Kehle. Sie biss die Zähne zusammen und zog die Hand weg. Reiß dich zusammen!, befahl ihr Verstand. Hier geht es nicht um dich! Und es ist nur eine Ratte.
    Sobald sie sich beruhigt hatte, kroch sie weiter. Sie musste nun fast auf der Höhe sein, auf der sich David befand. Sie ruhte sich kurz aus. Es wurde Zeit, auf die andere Seite zu wechseln.
    »Wie fühlt sich das an?«, erklang nun erneut Davids Stimme.
    »Was meinst du?«, fragte Ron.
    »Hilflosigkeit. Unwissenheit. Blindheit.«
    Rons
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher