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Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Camilleri
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dessen Namen ich nicht aussprechen möchte, weil ich mir den Mund schmutzig machen würde, leitet, auf eigene Kosten drucken lässt und auch in benachbarten Orten verbreitet, ist heute Morgen mit einem schändlichen Artikel erschienen. Darin werden außer den üblichen frevelhaften Beleidigungen der heiligen Mutter Kirche und uns Priestern, die wir sie repräsentieren, ohne ihrer würdig zu sein, das Sakrament der Ehe und die Jungfräulichkeit der Mädchen lächerlich gemacht, werden Keuschheit, Sittsamkeit und die weibliche Tugend verhöhnt … Darum ermahne ich euch, geliebte Kinder, und vor allem euch, geliebte Töchter, dergleichen ganz offensichtlich vom Teufel eingegebenen Abscheulichkeiten kein Gehör zu schenken. Die Jungfräulichkeit ist das höchste Geschenk, das eine junge Frau ihrem rechtmäßigen Bräutigam darbietet, sie gleicht in allem einer Blume, die …»
    Auch Padre Raccuglia, Pfarrer der Mutterkirche, der ältesten des Ortes, warnte in seiner Predigt, dass Palizzolo eine große Gefahr drohe, nämlich wie Sodom und Gomorrha zu enden, wenn sich die gotteslästerlichen Gedanken eines gewissen Winkeladvokaten verbreiteten, der sich gerne Anwalt der Armen nennen ließ, in Wahrheit aber der Advokat des Teufels war. Dieser Mensch, falls man einen gottlosen Verächter der Familie, der Religion, des Vaterlands und allem, was Gott der Herr gesegnet hatte, überhaupt einen Menschen nennen durfte, hatte in seiner Zeitung geschrieben, dass die Jungfräulichkeit, das höchste Gut der jungen Mädchen, nur eine Ware sei! Sie sei etwas, was ein Mann, wenn er heiratete, sich mit klingender Münze aneignete! Welch ein ruchloser Frevel! Die Jungfräulichkeit war doch vielmehr …
    An diesem Sonntag unterhielt sich der Notar Giallonardo nach der Messe noch mit Don Liborio Spartà vor der Kirche San Cono, die ihren Namen nach dem Schutzheiligen von Palizzolo trug.
    «Eines verstehe ich nicht», begann der Notar. «Warum hat Avvocato Teresi einen Aufnahmeantrag gestellt, obwohl er doch genau weiß, dass er abgelehnt wird?»
    «Meiner Meinung nach will er sich damit brüsten», sagte Don Liborio.
    «Vor wem denn?»
    «Vor denen, die er verteidigt. Den Hungerleidern, denen, die keine Lust zum Arbeiten haben, den Umstürzlern, den Ehrlosen … Er wird sagen: ‹Seht ihr? Die Adeligen, die Bürger, die Landbesitzer wollen mich nicht unter sich haben. Und das ist der Beweis, dass ich einer von euch bin!›»
    «Ich verstehe beim besten Willen nicht, was in diesen Mann gefahren ist», bemerkte der Notar nachdenklich. «Seinen Vater, Don Masino, der immer ein guter Mensch war, hat er so enttäuscht, dass ihm das Herz brach. Wie bitte? Du hast Pharmazie studiert und bist nicht zufrieden? O nein, der Herr muss unbedingt auch einen Abschluss in Jura machen, seine Familie und die Gesellschaftsschicht, aus der er kommt, verleugnen und das tun, was er jetzt tut. Wenn der die Hungerleider weiter so aufhetzt, bricht in Palizzolo womöglich noch die Revolution aus!»
    «Wenn einer gefährlich ist, dann ist der gefährlich, das kann man wohl sagen», stimmte Don Liborio zu.
    «Vielleicht sollte man rechtzeitig Vorsorge treffen», schloss der Notar, als er Don Filiberto Cusa erblickte, den Pfarrer von San Cono, der aus der Kirchentür gekommen war und nun auf sie zuging, zur Begrüßung mit den Armen fuchtelnd.
    «Ich habe euch sehr wohl gesehen!», rief Don Filiberto. «Ihr seid zu spät zur Messe gekommen! Warum?»
    «Wir hatten eine schwierige Sitzung im Verein», antwortete Don Liborio.
    «Warum schwierig?»
    «Wir haben über den Aufnahmeantrag von Avvocato Teresi abgestimmt», sagte der Notar.
    «Und wie ist es ausgegangen?», fragte der Pfarrer, der, eigentlich ein lachfreudiger Mensch, plötzlich ernst geworden war.
    «Er wurde für ungültig befunden.»
    «Na, Gott sei Dank! Sonst hätte ich euch die Sakramente verweigert! Soll ich euch was sagen? Wenn Teresi stirbt, will ihn nicht mal der Teufel in der Hölle haben!»
    Alle drei lachten herzhaft.
    Wie an jedem Sonntag begaben sich Commendator Padalino und Don Serafino Labianca, nachdem der Pfarrer Don Alighiero Scurria in der Kirche zum Heiligsten Herzen Jesu die Messe gelesen hatte, in das «Gran Caffè Garibaldi», um ihr gewohntes Gläschen Malvasier zu trinken, bevor sie zum Essen gingen. Zwar war Don Serafino ein Liberaler und Freimaurer, doch weil er fürchtete, dass es Gott womöglich doch geben könnte, versäumte er, mochte die Antwort nun Ja oder Nein lauten, am
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