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Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Camilleri
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nicht», sagte er sich. «Man hat mir nicht die Wahrheit gesagt, weder der Barone noch der Marchese!»
    Er machte kehrt, entschlossen, an das Tor zu klopfen, um eine Erklärung zu fordern. Doch schon nach drei Schritten blieb er wie vom Schlag getroffen stehen.
    Von der anderen Straßenseite kam außer Atem Dottor Bellanca angelaufen, sein Köfferchen in der Hand.
    «Waren Sie auf dem Weg zum Marchese?», fragte der Dottore.
    «Ja.»
    «Hat er Sie zu sich gerufen?»
    «Nein, aber da ich im Vorübergehen sah, dass …»
    «Bitte gehen Sie nach Hause, Don Anselmo.»
    «Warum?»
    «Weil ich nicht glaube, dass der Marchese in der Verfassung ist, Sie zu empfangen», sagte der Dottore, während er anklopfte.
    «Ist er krank?»
    «Ja.»
    «Aber ich habe ihn doch heute Morgen noch im Verein gesehen!»
    «Das will nichts heißen. Die … der … wie auch immer, die Sache befällt einen urplötzlich.»
    Don Anselmo traf die Erleuchtung wie ein Hieb in die Magengrube.
    «Mit Durchfall?», fragte er entsetzt.
    «Auch.»
    «O Heilige Muttergottes! Dann ist es eine Epidemie!»
    Das Eingangstor wurde geöffnet. Der Dottore ging hinein. Das Tor wurde wieder geschlossen.
    Don Anselmo fragte sich zum zweiten Mal an diesem Tag, wo der Hund begraben lag.
    Und er beantwortete seine Frage selbst. Es gab nur eine einzige, eine entsetzliche Antwort: die Cholera. Vor ein paar Jahren war die Cholera ausgebrochen, und man hatte den halben Ort zum Friedhof getragen. Er blieb noch eine Weile stehen, um die verriegelten Fenster zu betrachten, dann eilte er, fester auf seinen Stock gestützt, weil seine Beine stärker zitterten als sonst, nach Hause, öffnete die Tür, ging hinein und sank auf einen Stuhl im Vorzimmer, von dem er sich nicht mehr zu erheben vermochte.
    Seine Frau, Signora Agata, die gehört hatte, dass die Haustür geöffnet wurde, ging ins Vorzimmer und entdeckte ihren Mann, der sich, bleich wie ein Toter, mit dem Hut Luft zufächelte. Sie geriet in Aufregung.
    «’Nzelmù, was ist? Fühlst du dich nicht? Warum machst du so ein Gesicht?»
    «Sei einen Moment still, verflucht, lass mich wieder zu Atem kommen!»
    Aber die Signora konnte sich nicht zurückhalten.
    «Na, rede schon, ’Nzelmù, mach mir keine Angst! Heilige Muttergottes, was hast du denn?»
    «Nichts! Hör auf, so um mich herumzulaufen, du bist ja wie eine Schmeißfliege! Wo ist Girolamu?»
    «Der Kutscher? Weiß ich nicht.»
    «Schick das Mädchen nach ihm suchen. Er soll die große Kutsche anspannen.»
    «Warum? Du fährst weg? Wohin?»
    «Agata, du kommst mit mir, und wir fahren sofort!»
    «Was? Und wohin fahren wir?»
    «Aufs Land!»
    «Nach San Giusippuzzo? Wieder zurück? Wir sind doch vor nicht mal einer Woche auf dem Land gewesen!»
    «Und jetzt hab ich Lust, wieder hinzufahren, zum Teufel noch mal!»
    «Schon gut, schon gut, fluch nicht, aber wie lange bleiben wir denn?»
    «Rechne mal mit einem Monat.»
    «Was? So lange? Warum denn?»
    «Lass uns keine Zeit verlieren, Agata. Los, geh die Reisekoffer vorbereiten, tu auch warme Kleidung rein.»
    «Aber das Essen ist fertig!»
    «Agata, geh mir nicht auf die …!»
    «Was soll denn bloß diese Eile?»
    «Hör zu, Agata, im Ort geht was vor sich, das gefällt mir gar nicht. Die ganze Familie von Barone Lo Mascolo ist krank, alle, Agata! Und die Familie von Marchese Cammarata auch!»
    «Na, da wird eine Influenza umgehen!»
    «Von wegen Influenza! Wo Dottor Bellanca wie verrückt hin und her läuft? Und will mir nichts sagen, diese Kanaille. Aber ich hab’s trotzdem kapiert: Agata, ich sag dir, eine Seuche ist ausgebrochen! Vielleicht ist es die Cholera!»
    «O Heilige Jungfrau Maria! Ich packe sofort die Koffer!»
    Zwei Stunden später fuhren sie los, und wie immer brauchten sie eine Stunde, bis sie in San Giusippuzzo ankamen. Der Weg war jedoch so übel zugerichtet, dass die Kutsche sehr oft im Straßengraben zu landen drohte. Endlich konnte Girolamu mit Gottes Hilfe die beiden Pferde in dem großen Hof anhalten, um den sich die Villa, das Kelterhaus, der Stall, der Unterstand für die Kutschen und das Haus des Feldhüters ’Ngilino gruppierten, der hier mit seiner Frau Catarina und der siebzehnjährigen Tochter Totina lebte. Aus dem Kutschfenster sah Don Anselmo, dass niemand zu Haus sein konnte, denn die Tür war geschlossen, ebenso die Fensterläden.
    Es war Sonntag, und der Feldhüter, der die Ankunft seines Padrone nicht erwartete, war sicherlich auf den Feldern. Catarina und Totina waren
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