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Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Camilleri
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eingelassene kleine Tür öffnete und Dottor Bellanca mit seinem Köfferchen in der Hand herausschlüpfte.
    «Ich bin den ganzen Morgen hier gewesen, darum konnte ich nicht in den Verein kommen. Wie ist es ausgegangen?», sagte er, während er Don Anselmo die Hand schüttelte.
    «Der Antrag wurde für ungültig befunden.»
    «Besser so», sagte der Dottore.
    Und machte Anstalten, das Türchen hinter sich zu schließen.
    «Lassen Sie geöffnet», sagte Don Anselmo.
    «Wollen Sie hinein?»
    Das fragte der Arzt, ohne sich einen Millimeter von dem Türchen wegzubewegen, so dass Don Anselmo nicht an ihm vorbeikonnte.
    «Ja.»
    «Sie möchten den Baron besuchen?»
    Was für dumme Fragen!
    «Natürlich.»
    Der Dottore schloss energisch das Türchen.
    «Hören Sie auf mich, er ist nicht in der Verfassung, Sie zu empfangen.»
    Don Anselmo staunte. Dann war der Baron also wirklich krank!
    «Ist es denn schlimm?»
    «Hm, ja und nein.»
    «Hat er eine Influenza?»
    «Es handelt sich nicht um Influenza.»
    «Was hat er dann?»
    Bellanca wirkte etwas verlegen.
    «Es ist ein, wie soll ich sagen, ein besonderer Fall.»
    «Nun gut. Ich gehe kurz die Baronessa begrüßen und …»
    «Auch Sie kann niemanden empfangen.»
    «Hat sie sich angesteckt?»
    «Hm, sagen wir Ja.»
    «Die Tochter Antonietta womöglich auch?»
    Dottor Bellanca zog eine seltsame Grimasse.
    «Nun, sagen wir, sie ist … der Ursprung der Krankheit.»
    Wie war das möglich? Die kleine Baronessa war doch mit ihren achtzehn Jahren schön wie die Sonne und ihre Gesundheit noch robuster als die ihres Vaters!
    «Hören Sie, Dottore, wenn es so leicht ist, sich anzustecken …»
    «Machen Sie sich keine Sorgen, und erzählen Sie es vor allem nicht überall herum, damit wir keine unnötigen Ängste wecken. Der Baron und seine Familie befinden sich hier im Palazzo wie in einer Quarantäne. Es genügt, den direkten Kontakt mit ihnen zu vermeiden. Das Ganze ist nur eine Frage von Tagen, dann wird alles vorbei sein.»
    Don Anselmo erinnerte sich, dass Bellanca ihm die Hand gegeben hatte. Er erstarrte, denn er hatte schreckliche Angst vor Krankheiten.
    «Sagen Sie, Dottore, haben Sie sich eigentlich die Hände gewaschen?»
    Als Bellanca nicht antwortete, ging Don Anselmo fluchend davon. Auf dem Rückweg zu seinem Haus drehte er sich noch einmal zum Palazzo Lo Mascolo um. Vor allen Balkonen und Fenstern waren die Rollläden heruntergelassen. Als herrschte Trauer im Haus. Kein Lebenszeichen war zu sehen. Um ein Uhr am Sonntag? Bei dieser glühendheißen Sonne? Was war los mit ihnen, waren sie alle tot?
    Der Weg zu seinem Haus führte Don Anselmo zwangsläufig am Palazzo Cammarata vorbei, dem einzigen Gebäude in einer Straße, die ebenfalls Cammarata hieß. Adel verpflichtete die Familie nämlich dazu, dass ihr Palazzo keine anderen Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft hatte, die ganze Straße einnahm und nur auf den eigenen, umzäunten Garten blickte.
    Als Don Anselmo die Straße hinter sich gelassen hatte, die auf die Piazza Unità d’Italia führte, blieb er erschrocken stehen. Er wusste nicht, warum, aber etwas hatte ihn verwirrt. Doch was?
    Natürlich, die Stille!
    Der Marchese Filadelfo hatte acht Töchter, die jüngste fünf und die älteste siebzehn Jahre alt, eine Frau, die Marchesa Ernestina, ein lebhaftes, lautstarkes Naturell, und zwei Hausmädchen. Als einziger Mann unter elf Frauen, die sich entweder in den Haaren lagen oder schallend miteinander lachten, die mal weinten, mal laut schwatzten, sich gegenseitig beschimpften oder ihm lästig fielen, verlor der Marchese manchmal die Nerven, und seine ihm eigene Gereiztheit, an der er sogar litt, wenn er schlief, steigerte sich so sehr, dass er, in welchem Aufzug auch immer er gerade war, aus dem Haus lief und mit dem erstbesten Menschen, der vorüberging, Streit anfing. Egal, was gerade im Palazzo geschah, jeder, der durch die Via Cammarata ging, erfuhr es augenblicklich durch die Fenster, die sommers wie winters offen standen und das Geplapper der elf Frauen, die immer mit lauter Stimme sprachen, nach draußen trugen, wo es an den Steinen abprallte und durch dieselben Fenster wieder dorthin zurückzukehren schien, durch die es soeben gekommen war.
    Aber warum um alles in der Welt herrschte jetzt eine Grabesstille in dem Palazzo? Als Don Anselmo die Augen hob, bemerkte er, dass vor allen Fenstern die Läden geschlossen waren, etwas, was er noch nie zuvor gesehen hatte. Was mochte da passiert sein?
    «Da stimmt etwas
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